Krimis & Thriller

Mailand , die rote Stadt

In der kriminellen Szene Mailands der Siebziger Jahre versuchen verschiedene Ganoven, sich in der Hierarchie nach oben zu arbeiten und eine respektable Vormachtstellung zu erringen. Drei Parvenüs verzeichnen dabei gewaltige Erfolge: Agostino Ebale streckt Kokain, um seinen Gewinn zu maximieren, Franco Tarantino setzt auf Prostitution und Glücksspiel, Roberto Vandelli hingegen sitzt im Gefängnis ein und muss tatenlos zusehen, wie seine Konkurrenten den Markt unter sich aufteilen. Zu verdanken hat er dies Commissario Antonio Santi, der ihn nach einem langen Katz- und Mausspiel dingfest machte und einbuchten konnte. Doch wer im kriminellen Mailand heute noch ganz oben rangiert, der steht morgen vielleicht schon mit dem Rücken zur Wand und mit einem Bein entweder im Grab oder im Gefängnis.

Gelungene italienische Belletristik? Große italienische Schriftsteller im Hier und Jetzt? Na klar, Umberto Eco, aber der ist leider Anfang dieses Jahres verstorben. Venedigs Commissario Guido Brunetti, doch dessen Schöpfer ist eine amerikanische Schriftstellerein. Tja, viel wirft ein diesbezügliches Brainstorming nicht gerade ab, eventuell mag einem noch Roberto Costantini einfallen, der mit seiner "Trilogie des Bösen" Furore macht, zumindest sind die ersten beiden auf Deutsch erschienene Teile durchaus erfolgreich gewesen. Verbleibt noch "Milano Criminale", das vor ziemlich genau dreieinhalb Jahren bei seinem Erscheinen auf dem deutschen Markt als große Nummer gefeiert wurde. Mit "Schwarze Sonne über Mailand" hat Paolo Roversi nun das Sequel dazu verfasst, zwar nur noch als Paperback, aber immerhin hat man dieses Buch dem deutschen Leser nicht verwehrt, zum Glück!

In "Milano Criminale" hatte Roversi die Geschichte entlang der beiden so gegensätzlichen Protagonisten Santi und Vandelli gesponnen. Beide waren als Jungs im selben Mailänder Viertel aufgewachsen, doch waren sie recht unterschiedliche Wege gegangen. Während der eine die Polizeikarriere eingeschlagen hatte, war der andere auf die schiefe Bahn geraten und hat sich zum Kriminellen durch und durch entwickelt. Nun in den Siebzigern und Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts reduziert sich die von Roversi erzählte Geschichte keineswegs mehr auf Santi und Vandelli, sondern erstreckt sich deutlich komplexer. Die Konkurrenz innerhalb der einzelnen kriminellen Sparten Mailands ist groß. Entweder findet man zusammen und fusioniert seine Geschäfte oder man lässt die Situation eskalieren und frisst oder wird gefressen.

Der Autor führt in "Schwarze Sonne über Mailand" seinen in "Milano Criminale" begonnenen Schreibstil fort und schildert schonungslos den über die Jahrzehnte andauernden Kleinkrieg in der Mailänder Ganovenszene. Die Polizei steht dem gesamten Treiben immer hilfloser gegenüber und ist nur punktuell in der Lage, aktiv einzugreifen. Geregelt wird das Ganze anderweitig, die argwöhnischen und aufstrebenden Kriminellen sorgen dafür, dass Hierarchien weder zementiert noch allzu lange Bestand haben. Bei dieser Skrupellosigkeit wiegt ein Menschenleben nur sehr wenig, links und rechts der handelnden Personen sterben die Begleitfiguren wie die Fliegen. Doch Roversi lässt auch den einen oder anderen Hauptdarsteller über den Jordan gehen und sorgt so für geschickt eingefädelte Umkehrpunkte in der Geschichte.

"Schwarze Sonne über Mailand" ist eine gelungene Mischung aus einem kriminellen Epos und der italienischen Geschichte dieser Jahre, denn Roversi lässt die eine oder andere historische Begebenheit in seinen Roman miteinfließen und verknüpft die Stränge miteinander, seien es WM-Spiele zwischen Deutschland und Italien oder die Ermordung Aldo Moros, einem italienischen Ministerpräsidenten, der von einer radikalen kommunistischen Untergrundorganisation entführt und schließlich getötet wurde. Mailand, die rote Stadt, getränkt von viel vergossenem Blut und beherrscht von den Taten der gleichfarbigen Linken, ist der heimliche Star des vorliegenden Buchs, das mit seinem Thema und dem Hintergrund eine Nische besetzt. Wer Kriminalromane liebt, die abseits der üblichen Hotspots in Skandinavien, England, Deutschland oder den Vereinigten Staaten spielen, dem sei "Schwarze Sonne über Mailand" wärmstens empfohlen, idealerweise natürlich nach der Lektüre des Vorgängers "Milano Criminale".

Christoph Mahnel
08.08.2016

 
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Das Buch:

Paolo Roversi: Schwarze Sonne über Mailand

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Berlin: Ullstein Taschenbuch 2016
496 S., € 10,00
ISBN: 978-3-5482-8662-4

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