Krimis & Thriller

Von Mördern und einem Tor , das (k)eines war

Jeder echte Fu?ball-Fan kennt die Szene: im WM-Endspiel von 1966 zwischen Gastgeber England und Deutschland schie?t Englands St?rmerstar Hurst im gegnerischen Strafraum den Ball am deutschen Torh?ter Tilkowski vorbei mit voller Wucht an die Querlatte - und was dann passiert, ist legend?r. Der Ball springt nach unten knapp hinter die Torlinie ? und der Schiedsrichter entscheidet erst nach Absprache mit dem Linienrichter zuungunsten der protestierenden deutschen Spieler auf Tor und damit 3:2 f?r England ? die Vorentscheidung in dem hochspannenden Finale. Die Frage ist nur: War der Ball wirklich im vollen Umfang hinter der Linie? In England sagt man voller ?berzeugung ja ? aber die unscharfen Schwarzwei?-Fernsehbilder von damals zeigen eigentlich das Gegenteil.

Das war die Geburtsstunde des ber?hmt-ber?chtigten ?Wembley-Tores?: benannt nach dem traditionsreichen Londoner Fu?ballstadion und Schauplatz des Finales. Nun ist vierzig Jahre danach passend zur Weltmeisterschaft im eigenen Land der erste Kriminalroman Erich Loests, Der M?rder sa? im Wembley-Stadion, wieder neu aufgelegt und mit einem Nachwort des Autors versehen worden. F?r den jetzt achtzigj?hrigen Beobachter der ostdeutschen Gesellschaft (z.B. in Romanen wie Nikolaikirche oder V?lkerschlachtdenkmal) ist das auch ein nettes und angemessenes Geburtstagsgeschenk und nicht nur f?r Freunde des runden Leders eine unkonventionelle literarische Einstimmung auf die WM im Sommer.

Das London der ?Swinging Sixties? und die Fu?ballweltmeisterschaft im Mutterland des Fu?balls nahm der damals knapp vierzigj?hrige Schriftsteller zum Anla?, beides zum Schauplatz eines Kriminalromans zu machen, der dann unter dem Pseudonym Hans Walldorf ver?ffentlicht wurde. Es blieb nicht Loests einziger Kriminalroman, der trotz anf?nglicher Sympathie zum sozialistischen Staat schlie?lich auf kritische Distanz ging und von den SED-Parteifunktion?ren als politisch unzuverl?ssig eingestuft wurde. In der ber?chtigten Strafanstalt Bautzen verb??te er eine mehrj?hrige Haftstrafe. So war das Schreiben von Kriminalromanen unter einem Pseudonym seine ?berlebensstrategie nach der Haftentlassung, bevor er sich in den siebziger Jahren unter seinem richtigen Namen dem Gesellschaftsroman zuwenden konnte.

Doppelter Showdown

Loests Ermittler Kommissar Varney mu? sich zun?chst mit einem profanen Raub?berfall auf einen Geldtransporter herumschlagen und schafft es durch Informanten aus der Londoner Unterwelt auch bald, zumindest einen der drei T?ter festzunehmen und im Zuchthaus von Hertford hinter Schlo? und Riegel zu bringen, w?hrend ein anderer sich mit seinem Beuteanteil ins Ausland absetzt. Doch eine neue Gr??e des Londoner Verbrechermilieus mit dem Decknamen ?Delphin? will dem Schwerkriminellen Woodward zur Flucht verhelfen. Zu dumm nur, dass man versehentlich den Falschen befreit ? den kleinen Gelegenheitsgauner Bicket, der das Gl?ck hat, das seine Aufenthaltsstunde an der frischen Luft kurzfristig vorgezogen wurde. Nat?rlich wird das Versehen von den Handlangern des ?Delphins? schnell bemerkt, aber Bicket kann seinen ?Befreiern? entkommen. Der Ausbruch aus dem Zuchthaus findet ein gewaltiges Presseecho und so will ein besonders engagierter Reporter des hiesigen Lokalblatts die genauen Hintergr?nde recherchieren ? was ihm allerdings zum Verh?ngnis wird.

Scotland Yard schaltet sich ein und Kommissar Varney droht bald wegen fehlenden Ermittlungserfolgen eine Versetzung in die walisische Provinz. Nach einem weiteren Mord an einem ausgestiegenen Bandenmitglied spitzt sich die Lage aber zu: Der ?Delphin? plant den Transport des Weltmeisterschaftspokals w?hrend der Halbzeitpause in das Stadion abzufangen und Kommissar Varney stellt fest, dass sich der Drahtzieher unter den Fans im Stadion befindet. So findet ein Showdown nicht nur auf dem Rasen von Wembley statt, sondern auch auf den Zuschauer-R?ngen ? womit man wieder beim anfangs erw?hnten Spielh?hepunkt ist und sich der Kreis schlie?t.

Knorrige Polizisten und polierte Knarren

Der trockene Dialogwitz zwischen dem bissig-kantigen Kommissar Varney und seinen Untergebenen, Privatdetektiven und Verbrechern z?ndet und die etwas altmodische Gaunersprache mit so sch?nen Begriffen wie der ?Knarre?, der ?Polente? oder der ?Gangsterbraut? wirkt in den Dialogen keinesfalls st?rend, sondern hat einen gewissen Charme. Die Ereignisse im Vorfeld der Weltmeisterschaft wie der tats?chliche kurzzeitige Diebstahl der WM-Troph?e oder einzelne Spielberichte und Akteure (?Uwe Seeler, der Mann mit den denkenden Beinen ? ?) werden geschickt in die Handlung mit verwoben, ohne den Plot durcheinander zu wirbeln und von ihm abzulenken. Der Spannungsbogen wird durch die Zuspitzung der Ereignisse um die Enttarnung des ?Delphins? am Endspielort klug aufgebaut.

Ein interessanter Aspekt ist auch, dass ? wie im aufschlussreichen Nachwort zu erfahren ist ? der Autor sein London und die Szenerie um das Stadion nach Informationen aus Stadtpl?nen und B?chern konstruiert hat. Nat?rlich hat der DDR-B?rger Loest London aus eigener Anschauung erst nach seiner Ausreise 1981 kennengelernt und das Stadion ein wenig anders vorgefunden, als er es beschrieben hat.

Deutschsprachige Kriminalromane sind zur Zeit popul?r wie nie zuvor. Da ist es w?nschenswert, dass dies nicht die einzige Wiederentdeckung eines Kriminalromans der sechziger und siebziger Jahre aus einer ostdeutschen Autorenfeder ist und weitere wiederver?ffentlicht werden.

Hagen Stoll
03.04.2006

 
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Das Buch:

Erich Loest: Der Mörder saß im Wembley-Stadion. Kriminalroman

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Göttingen: Steidl Verlag 2006
199 S., € 10,00
ISBN: 3-86521-250-6

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