Krimis & Thriller

Ein Richter in der Unterwelt

Dem niederl?ndischen Diplomaten und Sprachwissenschaftler Robert van Gulik (1910-1967) verdanken Krimileser eine der ungew?hnlichsten Detektivfiguren in der Literaturform des historischen Kriminalromans. Sein im China der Tang-Dynastie (7.Jh. n. Chr.) ermittelnder Bezirksrichter Di Jen-dsi? kann es mit seinem analytischen und scharfsinnig nach Faktenlage kombinierenden Verstand durchaus mit Sherlock Holmes aufnehmen.

Im Gegensatz zu Conan Doyles exzentrischen Meisterdetektiv ist Richter Di aber keine reine literarische Erfindung, sondern als Minister und Staatsmann am kaiserlichen Hofe eine reale Person der altchinesischen Geschichte. Nach einer erfolgreichen ?bersetzung eines historischen Werkes ?ber Richter Di begann Robert van Gulik, eigene Plots um Richter Di zu entwickeln und ihn zur Hauptfigur seiner Kriminalromane zu machen.

Im neunten Richter Di-Roman Der Wandschirm aus rotem Lack verbringt dieser einen kurzen Urlaub im Bezirk Wei-Ping in der chinesischen Provinz und sucht voller Neugier seinen Amtskollegen Teng im Bezirksgericht auf, der einen herausragenden Ruf als Dichter und Schriftsteller genie?en soll. Um kein Aufsehen zu erregen, reist er ? begleitet von seinem loyalen Gerichtsgehilfen und ehemaligen Stra?enr?uber Tschiau-tai ? inkognito als Gesch?ftsmann.

Typisch f?r die Struktur des mehr als ein Dutzend Werke umfassenden Richter Di-Romanzyklus ist die - ?ber einzelne Handlungsstr?nge und beteiligte Charaktere - lose Verbindung dreier verschiedener Kriminalf?lle. In diesem Buch mu? Richter Di neben dem mysteri?sen Verschwinden eines alten Kaufmanns und einem Betrugsfall auch einen tragischen Mordfall im unmittelbaren Umfeld des ortsans?ssigen Bezirksrichters aufkl?ren, in dessen Verlauf der im Romantitel angesprochene omin?se Wandschirm und seine abgebildete Darstellung der vier Jahreszeiten eine wichtige Rolle spielt.

Richter Teng bittet seinen Kollegen um Hilfe und bei seinen Ermittlungen dringt Richter Di immer tiefer in die Unterwelt ein, in der er auf einen Bandenchef mit milit?rischer Vergangenheit, sch?ne Kurtisanen und einen verschlagenen Einbrecher trifft, der scheinbar keine Spuren hinterl?sst und Richter Di als Komplizen f?r eine geplante Erpressung anwerben will. Ganz nebenbei lernt der Leser so die altchinesische Alltags- und Subkultur kennen und gewinnt einen Einblick in das Justiz- und Polizeisystem dieser Zeit.

Robert van Gulik war ?brigens ein erstaunliches Multitalent: Nicht nur als erfolgreicher Diplomat in S?dostasien, ?bersetzer und Schriftsteller, sondern auch als Illustrator seiner eigenen Werke. So finden sich in diesem Buch verschiedene Abbildungen im Stile chinesischer Holzschnitte aus der Hand des Autors. Da? in der Person des Romanhelden Richter Di wohl auch einige Wesensz?ge van Guliks Einzug gehalten haben, l??t sich durch die ?u?erung ?Richter Di bin ich !? gegen?ber dem Krimiautor Janwillem van de Wetering belegen, der eine Biographie ?ber van Gulik schrieb.

Der vorliegende Roman d?rfte gerade Leser ?berzeugen, die einerseits historische Romane als Lesefutter bevorzugen, aber auch nicht abgeneigt sind, Kriminalromane mit einer glaubw?rdigen historischen Hintergrundszenerie zu lesen.

Hagen Stoll
05.01.2006

 
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Das Buch:

Robert van Gulik: Der Wandschirm aus rotem Lack

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Zürich: Diogenes 2006
207 S., € 7,90
ISBN: 3-257-86128-1

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