Krimis & Thriller

Die Jugendjahre des Michele B.

In den sechziger Jahren ist das nordafrikanische Libyen ein weltoffenes Königreich, in dem viele Nationen friedlich vereint in Tripolis ihren Geschäften nachgehen. So leben auch die italienischen Familien der Balistreris und Bruseghins, die Hunts aus Amerika und die einheimischen al-Bakris wenige Kilometer außerhalb von Tripolis. Michele Balistreri, der Sohn von Salvatore Balistreri, dem wichtigsten italienischen Strippenzieher von ganz Tripolis, verbringt dort seine Jugendjahre, durchlebt erste amouröse Erfahrungen mit den Frauen der Hunts und schmiedet den Bund der Vier, eine Blutsbrüderschaft mit Karim und Ahmed sowie Nico, allesamt Söhne von Bediensteten seiner Familie.

Die heile Welt Micheles erfährt an dem Tag erste Risse, als Nadia, die Tochter der al-Bakris und kleine Schwester seiner Blutsbrüder Karim und Ahmed, ermordet wird. Ein Schafhirte wird schnell als Täter ausgemacht und verurteilt, doch Michele hegt von Beginn an Zweifel. Als schließlich am Tag des Militärputsches von Gaddafi seine Mutter leblos im Meer gefunden wird, kann er an der Version eines Freitods überhaupt keinen Gefallen finden. Die Tage Micheles in Libyen sind gezählt, innerhalb kürzester Zeit verlassen die Ausländer Tripolis. Den mittlerweile neunzehnjährigen Michele verschlägt es dabei nach Rom, wo er in den Folgejahren als Polizist arbeiten wird. Dreizehn Jahre nach dem abrupten Ende seiner libyschen Jahre wird er zu einem Mordfall in seinem Zuständigkeitsbereich gerufen, der die alten Geister in ihm weckt. Allem Anschein nach haben ihn die Menschen ausfindig gemacht, die Nadia und seine Mutter auf dem Gewissen haben, denn der Mord an der jungen argentinischen Austauschstudentin enthält allzu deutlich eine allerletzte Warnung an Michele.

"Die Saat des Bösen" ist der zweite Thriller aus der Feder des italienischen Schriftstellers Roberto Costantini und zugleich der zweite Teil seiner "Trilogie des Bösen" um den italienischen Polizisten Michele Balistreri. Bereits mit "Du bist das Böse" war Costantini ein raffiniert angelegter Thriller gelungen, der sich in ähnlicher Manier über mehrere Jahrzehnte hinweg spannte. Doch mit seinem zweiten Werk hat Costantini dank eines begeisternden Mixes aus fernen Kindheitstagen, kompromisslosem Machtgerangel und knallharter Cop-Action den nächsten schriftstellerischen Karrieresprung genommen. Im vorliegenden Buch taucht der faszinierte Leser zunächst in ein vergangenes Leben im Königreich Libyen ein, dessen Ende mit Gaddafis Machtübernahme auch das Ende von Micheles Jugend markierte, bevor nach einem Zeitsprung Michele im Italien der Achtziger von den Schrecken der Vergangenheit eingeholt wird.

Das vorliegende Buch gehört zu den seltenen Ausnahmeerscheinungen von Thrillern, die nicht den ausgelatschten Pfaden folgen, sondern mit einer zeitlich breiten und inhaltlich fundierten Anlage eines hochintelligenten Plots brillieren, ohne dabei die Komplexität der Handlung ausufern zu lassen. Das Erscheinen von Costantinis Thrillern auf dem deutschen Buchmarkt ist der wunderbare Beweis dafür, dass die Buchverlage hierzulande gute Arbeit leisten, indem sie den internationalen Markt sehr genau im Blick haben und sich dabei die Rosinen unter den Myriaden fauler Trauben herauspicken, um schlussendlich deren Übersetzungen zu beauftragen und auf den hiesigen Markt zu importieren.

Für den Leser, der den sprunghaften Charakter Micheles bereits im ersten Band kennenlernen durfte, fügen sich mit der Schilderung von dessen Jugendjahren weitere Puzzleteile zum Bild eines sehr vielschichtigen Mannes zusammen. Zwar berührt der Autor an einigen wenigen Stellen mit der Erwähnung des Falles Elisa Sordi die Handlungsstränge des ersten Bandes, doch kann "Die Saat des Bösen" auch ohne Kenntnis des ersten Bandes gelesen werden. Freunde des gepflegten und intelligenten Thrillers sollten sich jedoch keineswegs irgendeinen Teil der "Trilogie des Bösen" entgehen lassen. Im italienischen Original ist der finale Band "Il male non dimentica" - zu Deutsch in etwa "Das Böse vergisst nicht" - bereits in diesem Sommer erschienen. Dies nährt die Hoffnung, dass die deutsche Übersetzung nur noch eine Frage der Zeit ist und - bitteschön - in Bälde vorliegen wird.

Christoph Mahnel
29.09.2014

 
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Das Buch:

Roberto Costantini: Die Saat des Bösen

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München; C. Bertelsmann Verlag 2014
640 S., € 19,99
ISBN 978-3-570-10181-0

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