Krimis & Thriller
Gewalt und Verbrechen kennen keine Zeitgrenzen
Rom im Dezember 1558:
Tommaso Benzoni, Richter und Leiter des Hafengerichtes, steht zu Füßen der Stadtmauer. Rom, die heilige Stadt war nie ein friedlicher Ort gewesen, aber die letzten vier Monate ...
Von August bis zum Weihnachtsfest hatten die Kardinäle gebraucht, um einen neuen Papst zu wählen. In dieser herrenlosen Zeit wüteten die Menschen mit unvorstellbarer Brutalität und Grausamkeit, als hätten sie niemals von Recht und Gesetz gehört ...
Benzonis Blick richtet sich auf den gegenüberliegenden Turm, den seine Leute gerade durchsuchen. Sie beäugen die Mauer mit ihren doppelstöckigen Arkadenbögen, Nischen und Stiegen, die allesamt unzählige Versteckmöglichkeiten bieten.
(Andrea Strata, der römische Ankläger, war am Vormittag bei Benzoni im Ufficio erschienen mit der Nachricht, daß zwei Rosenkranzschnitzer ein Vortragskreuz und Altargeräte aus der Kirche San Pietro gestohlen und die Beute in einem der vielen Stadttürme verstecken hätten.)
Was sich jedoch findet bei der anlaufenden Suche ist ein Sack, ... ein großer, weißer Sack, aber er kann keinesfalls die Beute beinhalten, dafür ist er zu groß und außerdem mit Spinnweben überzogen. Der hängt hier schon seit Ewigkeiten ... Mit dem Messer aufgeschlitzt, gibt er den Blick auf eine Kinderleiche frei: Vertrocknete Haut, spröde, geringelte, gelbliche Haare, in denen eine Seidenrose steckt, die Augenhöhlen leer, eine Ohrmuschel und die Nasenspitze fehlen – ein Schreckenspaket, eingewickelt in ein Seidentuch! Schnell ist der grausige Fund durch einen Polizisten identifiziert. "Ich glaub ich kenne das Kind, Putto heißt er ... die Rose, die er im Haar hat. Der hat sich auf dem Campo rumgetrieben, für eine Handvoll Münzen hat der sich an die reichen Signori verkauft".
Tatsächlich entpuppt sich der Tote als käuflicher Spielgefährte reicher Männer, dessen Tod niemand betrauert. Die Behörden behandeln den Fall auffallend desinteressiert. Als bei der Obduktion jedoch ein kostbares, mit Edelsteinen geschmücktes Messer, das unzweifelhaft dem Kardinal Carafa gehörte, gefunden wird, beginnen bei Tommaso Benzoni die Alarmglocken zu läuten, und er beschließt auf eigene Faust zu ermitteln. Fassunslos und schockiert findet er heraus, wer den Jungen tötete ...
Helga Glaesner schuf einen Kriminalroman, der mit viel historischem Sachverstand geschrieben wurde. Hintergründig und spannend schildert sie das dekandente Rom des 16. Jahrhunderts. Offen, manchmal schockierend detailliert (neugierig gaffend werden z.B. Hinrichtungen auch von Kindern und schwangeren Frauen lüstern aus nächster Nähe betrachtet) zeichnet sie ein Bild der Brutalität und Gewaltbereitschaft der römischen Gesellschaft und ihrer niederen Machenschaften, in welche keineswegs nur der zerlumpte Straßenräuber, sondern an allererster Stelle die sogenannte honore Gesellschaft verstrickt ist.
"Früher war alles viel besser", gilt hier nicht - oder anders formuliert: Wer glaubt, Kriminalität und Gewalt des 21. Jahrhunderts seien nicht zu überbieten, wird hier eines besseren belehrt.
lid
12.06.2002