Krimis & Thriller

Wo in der Welt ist Eva Weissberg?

Stephan Brüggenthies hat sich mit "Die tote Schwester" als Wiederholungstäter geoutet. Nach dem großen Erfolg seines Romandebüts "Der geheimnislose Junge", bei dem der Kölner Kriminalkommissar Zbigniew Meier einen europaweit agierenden Kinderhändlerring gesprengt hatte, hat sich der 42-jährige Wahl-Kölner getraut, einen zweiten Fall rund um den unkonventionellen Protagonisten zu spinnen. Dabei geht der Mann, der gegenüber seinem Vornamen eine nicht unerhebliche Abneigung empfindet - und damit womöglich auch gegenüber seinem Schöpfer für dessen zweifelhafte Kreativität -, keineswegs unvorbelastet in sein zweites Abenteuer. Schließlich lasten die physischen und psychischen Schäden aus dem turbulenten Finale des ersten Buches noch merklich auf Zbigniew und dessen Gemüt.

Zbigniew Meier nutzt die letzten Tage seiner mehrmonatigen, ärztlich verordneten Auszeit, um mit seiner mittlerweile 18-jährigen Freundin Lena die Metropole der westlichen Welt - New York - zu besuchen. Dabei scheinen Zbigniews Lorbeeren um die Zerschlagung des Kinderhändlerrings sogar über den großen Teich nach Amerika geschwappt zu sein, wird er doch dort von Samuel Weissberg, einem pensionierten New Yorker Polizisten, auf offener Straße angesprochen und um Hilfe gebeten. Weissberg war im Gegensatz zu seinen Eltern während des Zweiten Weltkriegs als kleinem jüdischem Jungen die Flucht aus Hitler-Deutschland gelungen, von seiner 1943 geborenen Schwester Eva fehlt dagegen jede Spur; weder über Leben noch Tod war eine fundierte Information an Samuel gegangen. Bevor Samuel Weissberg aus diesem Leben scheiden wird, hat er sich die Aufgabe gestellt, sich über das Schicksal seiner Schwester noch hundertprozentige Klarheit zu verschaffen. Dafür scheint ihm zur Unterstützung keiner besser geeignet als Zbigniew Meier, schließlich war die Spur von Samuel zu seiner Schwester Eva einst im Raum Köln verloren gegangen.

Zbigniew bringt im Gegensatz zu seiner Freundin Lena für dieses Anliegen Weissbergs zunächst nur wenig Interesse auf, was sich allerdings nach der Rückkehr der beiden nach Deutschland schlagartig ändert. Lena wird kurz nach der Landung am Flughafen entführt, und für Zbigniew ist der Fall ganz klar: Die Entführung steht im Zusammenhang mit dem Geheimnis um die tote Schwester von Samuel Weissberg. Oder ist Eva Weissberg trotz der Tatsache, dass sie in den Sechziger Jahren für tot erklärt worden war, etwa noch am Leben? Während die Ermittlungsarbeit der Polizei, von der Zbigniew ob seiner Befangenheit in diesem Fall ausgeschlossen ist, vorrangig islamistische und terroristische Hintergründe und Spuren verfolgt, recherchiert Zbigniew im Umfeld der Familie Weissberg und den einschlägigen Archiven in Köln und Umgebung. Dies bewerkstelligt er übrigens mit Hilfe der befreundeten Tonia Lindner, der Mutter des geheimnislosen Jungen aus dem gleichnamigen Vorgängerroman.

Stephan Brüggenthies hat mit "Die tote Schwester" bewiesen, dass er schriftstellerisch garantiert kein "One-Hit-Wonder" bleiben wird. Auch in seinem zweiten Roman legt er wieder eine begeisternde Rasanz an den Tag, die dem Leser kaum Verweildauer in den Lesepausen gestattet. Darüber hinaus ist die Hintergrundhandlung glaubhaft und schlüssig dargestellt, so dass der Lesegenuss hier trotz der Ungläubigkeit über die Vorgänge im Deutschland der Vierziger Jahre keinen Unglaubwürdigkeiten unterliegt. Im Stile einer erstklassigen Tatort-Folge begeistert "Die tote Schwester" durch eine initiale Katastrophe in Form der Entführung Lenas, durch die parallele Verfolgung verschiedener Fährten, von denen sich manche als substanzlos und manche als entscheidend herauskristallisieren, und durch einen actionreichen Showdown, an dessen Ende Antworten auf alle Fragen gegeben sind.

Stephan Brüggenthies hat anders als noch in "Der geheimnislose Junge" Zbigniew Meier in seinem männlichen Drang etwas ausgebremst, vielmehr scheint ein wenig mehr Reife und Konstanz in das Leben des Kriminalkommissars gelangt zu sein. Demjenigen Leser, der sich über die mangelnde Emotion Zbigniews ob der entführten Freundin wundert, sei allerdings gesagt, dass mit Stephan Brüggenthies und "Die tote Schwester" entgegen der üblichen Trends ein männlicher Autor einen Kriminalroman mit einem durch und durch männlichen Kriminalkommissar geschrieben hat, wobei letzterer zwar versucht, die Frauen zu verstehen, aber garantiert nicht als Frauenversteher daherkommt. Wer klare und schnörkellose, spannende und actionreiche Kriminalromane aus deutschen Landen liebt, der wird in den kommenden Jahren an dem Duo Brüggenthies/Meier nicht vorbeikommen und hoffentlich noch viele unterhaltsame Stunden mit diesen beiden verleben.

Christoph Mahnel
21.02.2011

 
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Das Buch:

Stephan Brüggenthies: Die tote Schwester

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Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2011
440 S., € 16,95
ISBN: 978-3-821-86131-9

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