Krimis & Thriller
Auf Verbrecherjagd mit Ovid
Es ist so sicher wie Ostern im Fr?hling und Weihnachten zum Jahresende: P?nktlich zu Beginn des Sommers erscheint ein neuer Brunetti-Roman aus der Feder Donna Leons. Mit "Sch?ner Schein" ist dieser Tage Numero Achtzehn in einer der erfolgreichsten Krimireihen der letzten Jahrzehnte erschienen. Die Wahl-Venezianerin Leon setzt dabei auf ihr altbew?hrtes Konzept und macht im Rahmen von 300-400 Seiten ein aktuelles, politisches bzw. soziokulturelles Thema zum Gegenstand eines Falles f?r Commissario Guido Brunetti.
Im vorliegenden Roman ist es die M?llproblematik, die vor Jahresfrist in Neapel internationale Schlagzeilen gemacht hatte. Zun?chst ist Brunetti mit seiner Frau Paola zu Gast auf einem Empfang bei seinen Schwiegereltern, Conte und Contessa Falier. Dort wird er mit einer jungen Freundin seiner Schwiegermutter bekannt gemacht. Franca Marinello, ob ihrer zahlreichen Sch?nheitsoperationen auch "Superliftata" genannt, findet sogleich Zugang zu Brunetti, da ihre gemeinsamen Vorlieben f?r einige Schriftsteller der Antike ausreichenden und abendf?llenden Konversationsstoff liefern. Dass sich Conte Falier aus Gesch?ftsgr?nden insgeheim ein Urteil von seinem Schwiegersohn ?ber Franca und deren Mann, den deutlich ?lteren Maurizio Cataldo, erhofft, st?rt den venezianischen Gutmenschen aber nicht im Geringsten.
In einem parallelen Handlungsstrang wird der Carabinieri Maggior Guarino aus Marghera bei Brunettis Chef Patta in der venezianischen Questura vorstellig. Er wendet sich in einem Fall, der Verstrickungen in die mafi?sen Vorg?nge rund um das heikle und sp?testens seit Neapel jedermann bewusste Thema der M?llbeseitigung aufweist, hilfesuchend an Brunetti. Letzterer ist trotz seines stets hilfsbereiten Naturells ein wenig skeptisch, da sich Guarino nur halbherzig ?ber die wahren Fakten und vollst?ndigen Zusammenh?nge ausl?sst. Gl?cklicherweise kann Brunetti dem sich in einer h?chst dubiosen Mission befindlichen Carabinieri noch einige Informationen entlocken, bevor dessen Leiche kurze Zeit sp?ter in einem Industriegebiet gefunden wird.
Ohne zuviel vorweg zu nehmen, ist es f?r den erfahrenen Brunetti-Leser auch nicht ?berraschend, dass die beiden Handlungsstr?nge ?ber einige Ecken hinweg ihren Zusammenschluss finden. ?berraschend dagegen und f?r den Leser rundum zufriedenstellend ist es dieses Mal Brunetti selbst, der letztlich den Ausgang der Dinge ma?geblich beinflusst. W?hrend er f?r gew?hnlich den offensichtlichen Zusammenh?ngen in seiner Position machtlos gegen?bersteht, kann er in "Sch?ner Schein" seinen moralischen und ethischen Grunds?tzen vollauf gerecht werden.
Auch in mancherlei anderer Hinsicht ist es ein ungew?hnlicher Brunetti-Roman: Venedig versinkt im Schnee und leidet nicht wie sonst unter Hitze und Touristen oder dem f?r Venedig nicht un?blichen Acqua alta. In "Sch?ner Schein" wird weniger gekocht und gespeist als sonst, daf?r wird ausgiebiger ?ber literarische Pr?ferenzen diskutiert. Neben einem Exkurs ?ber Paolas Lieblingsschriftsteller sind es insbesondere die alten Klassiker von Ovid und Cicero, ?ber die Brunetti mit "Superliftata" philosophiert, wobei Ovids "Fasti" letztlich einen nicht unerheblichen Beitrag zur Aufl?sung des Falles leisten!
Die Tatsache, dass mit Werner Schmitz ein neuer ?bersetzer der deutschen Version am Werk ist, verringert allerdings nicht die Gefahr der Abnutzung, die f?r eine derart langlebige Reihe sicherlich besteht. Doch wer Brunetti und sein Umfeld einmal liebgewonnen hat, wird sich die n?chste und neueste Geschichte einfach nicht entgehen lassen, insbesondere wenn wie in "Sch?ner Schein" der Fall mit einer stimmigen und sich letztlich aufl?senden Story zu einem der besseren Romane in der Reihe geh?rt. Verpackt werden die B?cher bereits seit Fall Numero Eins bei Diogenes in einem klassisch anmutenden und sich hochwertig anf?hlenden Einband, der mit 21,90 Euro zwar einen stattlichen Preis hat, aber dem Leser ein gehobenes und ganz besonderes Lesegef?hl bereitet.
Christoph Mahnel
07.06.2010