Krimis & Thriller
Vom Versuch , die Welt zu retten
"Wer sich unter Mörder begab, der durfte nicht mit Gnade rechnen" – Nein, Gnade war es sicherlich nicht, was Birger Dahlerus seinerzeit anstrebte. Ihm war daran gelegen, den Frieden zu erhalten und Europa vor der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg, zu bewahren. Zu diesem Zwecke begab er sich zwischen die Fronten und in das innerste Zentrum Nazi-Deutschlands zu Hitler und Göring.
Rund um die historische Figur des schwedischen Industriellen Birger Dahlerus hat Jörg Isringhaus seinen ersten Roman gesponnen. Der Historiker und Germanist Isringhaus, im Hauptberuf Redakteur bei der "Rheinischen Post", hatte eigenen Angaben zufolge Gefallen gefunden an Dahlerus und dessen Bemühungen, so dass er ihn in den Mittelpunkt von "Unter Mördern" gestellt hat und drum herum einen hochspannenden Agenten- und Diplomaten-Thriller gestrickt hat.
Im August 1939 befindet sich Europa am Scheideweg seiner Geschichte. Die Agitationen Nazi-Deutschlands gegenüber Polen werden intensiviert und die gesamtpolitische Lage Europas spitzt sich zu: England bekennt sich zu Polen und droht Deutschland mit Krieg, sollte es Polen überfallen. Letzteres ist für Hitler bereits beschlossene Sache, dennoch arbeiten Menschen in allen Ländern daran, dies doch noch vermeiden zu können. Einer von ihnen ist Birger Dahlerus, der gute Kontakte zu England und auch zu Hermann Göring, dem zweiten Mann im Deutschen Reich, hat. Dahlerus hat erkannt, dass Göring weniger am Krieg, dafür mehr an Macht und Luxus gelegen ist und er somit der höchstmögliche Einstiegspunkt in diplomatische Verhandlungen mit Nazi-Deutschland ist. Jedermann kennt das ernüchternde Ergebnis dieser Versuche und dennoch schafft es Isringhaus, den Leser mit einer Spannung hinsichtlich der Erfolgsaussichten Dahlerus' zu fesseln.
Neben der Episode um die Bemühungen des Schweden hat Isringhaus einen zunächst noch parallel verlaufenden Handlungsstrang aufgebaut, in dem der von der Gestapo-nahen Geheimorganisation "Söhne Odins" zu den Engländern übergelaufene Agent Richard Krauss im Mittelpunkt steht. Krauss war zusammen mit seinem Bruder Edgar früh und voller Begeisterung den Nationalsozialisten beigetreten. Für Richard waren allerdings die grausamen Ereignisse rund um die Ermordung seiner großen Liebe Hanna und die Entführung eines geheimnisvollen Jungen Grund genug, die Seiten zu wechseln. Krauss erhält schließlich von den Engländern einen Auftrag, der einem Himmelfahrtskommando gleichkommt: Er soll Adolf Hitler töten!
Isringhaus hat sich auf ein äußerst schwieriges Terrain vorgewagt, da die Realisierung eines Romans rund um Hitler und seine Nazi-Schergen nahezu unmöglich erscheint. Inwieweit lässt sich Fiktion in die allseits bekannten geschichtlichen Fakten einarbeiten, ohne dabei an den Haaren herbeigezogen zu wirken? Isringhaus' Kniff ist es, die Person Dahlerus als roten Faden für die historische Authentizität herzunehmen und die größtenteils unbekannte Geschichte der verzweifelten Bemühungen um den Frieden zu erzählen. Zusätzliche Spannung erzielt er unterdessen durch die Verquickung mit dem Erzählstrang rund um die "Söhne Odins" und die beiden aufs Blut verfeindeten Brüder Richard und Edgar. Somit ist "Unter Mördern" sowohl ein Roman für waschechte Thriller-Fans, die dank Richard und seiner ausgebufften Begleiterin Oda voll auf ihre Kosten kommen, als auch für den geschichtsinteressierten Leser, der das vorliegende Werk in seinem geschichtlichen Raster auf fundiertem Boden einbetten kann.
Dahlerus selbst hatte seine Memoiren 1948 unter dem Titel "Der letzte Versuch" veröffentlicht. Bereits das Studium von Auszügen aus diesen Erinnerungen macht einem die geschichtliche Authentizität klar, mit der Isringhaus seinen Roman konzipiert hat. Dahlerus war 1946 in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen nochmals in Erscheinung getreten, als er als Zeuge für Göring hatte aussagen müssen, bevor er unbeachtet 1957 in seiner schwedischen Heimat verstarb. Isringhaus´ Plädoyer für eine moralische Verpflichtung, auch noch die allerletzte Chance zu nutzen, wenn sie sich einem denn bietet, findet ihren Platz in diesem Erstling, der in den kommenden Monaten ob seiner gelungenen historischen und fiktiven Passagen garantiert noch viel Beachtung und Aufmerksamkeit in der deutschsprachigen Literaturszene finden wird.
Christoph Mahnel
03.05.2010