Krimis & Thriller
Spannender Auftakt der Nachzehrer-Trilogie
Im 14. und 15. Jahrhundert, zur Zeit der Großen Pest, wurden erstmals Worte über seltsame Wesen laut. Die Menschen glaubten, dass Nachzehrer den Lebenden ihre Lebenskraft aussaugen, um fortan als Untote, als sogenannte Wiedergänger auf der Erde zu wandeln und auf ihrer Reise Tote zu hinterlassen. Dem Volksglauben zufolge soll eine Hexe für diesen unheilvollen Fluch verantwortlich sein, der den Verdammten ein elendes und gefühlloses Dasein bereiten sollte - bis in alle Ewigkeit. Perfekter Stoff für einen ungewöhnlichen Fantasy-Roman, wie Olga Krouk mit "Schattenseelen" beweist.
Für die Krankenschwester Evelyn Behrens scheint es eine ruhige Nachtschicht zu werden. Bislang mussten nur kleinere Verletzungen versorgt werden und es ist sogar genug Zeit, um mit dem diensthabenden Arzt ein wenig zu schäkern. So müsste es immer in der Notaufnahme des Hamburger Krankenhauses sein. Reines Wunschdenken, wie Evelyn erkennen muss, als ein schwerverletzter Motorradfahrer eingeliefert wird. Eigentlich ist es ein Wunder, dass dieser Mann überhaupt noch lebt, aber viel können die Ärzte nicht für ihn tun. Kaum im Krankenhaus eingetroffen, setzen Herzschlag und Atmung aus. Gerade als der Arzt den Tod des Unfallopfers feststellt, bäumt dieser sich auf und gibt dem Arzt einen Kuss - mit fatalen Folgen: Der Arzt stirbt an der Beulenpest, während sich das Unfallopfer erstaunlich schnell erholt.
Als Evelyn von dem geheimnisvollen Fremden entführt wird, erfährt sie die schreckliche Wahrheit: Adrián ist ein Nachzehrer, der mit einem Kuss die Lebensenergie aus den Menschen saugt. Denn nur so kann er existieren. Und dies ist längst noch nicht alles: Adrián behauptet, Evelyn sei gleichfalls ein Nachzehrer und müsse fortan ihr Leben als Untote bewältigen. Eigentlich eine furchtbare Vorstellung, aber glücklicherweise hat sie ja den attraktiven Adrián an ihrer Seite. Er wird sie beschützen und könnte eines Tages vielleicht sogar mehr als ein Leidensgenosse sein. Sie verlieben sich ineinander.
Bald muss Evelyn erkennen, dass Nachzehrer stets in großer Gefahr schweben. Nirgends sind sie vor ihren Intimfeinden, den Metamorphen (Gestaltwandlern), sicher. Deren Lebensaufgabe besteht darin, Nachzehrer aufzuspüren und für immer zu vernichten. Nur wenn es die Untoten nicht mehr gibt, ist die Menschheit wieder sicher. Dieser ehrenvollen Aufgabe widmet sich auch Kilian. Er konnte bereits vielen Nachzehrern den Garaus machen und auch diesmal ist sein feiner Jagdinstinkt gefragt, denn seine Königin will Evelyn. Womit Kilian allerdings nicht gerechnet hat, sind seine Gefühle für die Frau - Gefühle, die es unmöglich machen, Evelyn seiner Königin auszuliefern und die junge Frau in einen schier unlösbaren Konflikt stürzen: die Entscheidung zwischen einem Mann, der schon tot ist, und einem anderen, für den ihre Liebe das Todesurteil bedeutet.
Olga Krouk entfaltet mit "Schattenseelen" vor dem Leser einen spannenden Fantasy-Thriller, der einem den Atem stocken lässt und zugleich die Seele berührt. Die Autorin baut von Seite zu Seite ein fesselndes Gebilde als Mystik, Spannung und einem ordentlichen Schuss Humor auf, in das sich der Leser verfängt wie die Fliege im Spinnennetz. "Schattenseelen" bringt frischen Wind in das Fantasy-Genre: Statt auf romantische Vampirgeschichten greift Krouk auf düstere Sagen und Mythen zurück und verflechtet diese mit einer packenden, leidenschaftlichen Handlung, die einen hohen Unterhaltungswert garantiert.
Und noch eines unterscheidet Krouk von ihren Fantasy-Kollegen: Sie unternimmt keine eindeutige Abgrenzung zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Der Grund hierfür ist offensichtlich: Jeder vereint beide Seiten in seiner Seele. Entscheidend ist, welche Seite man für sein Handeln auswählt. Dabei zeigen sich die Figuren wandelbar, sodass man beim Lesen immer wieder überrascht wird und zuvor gefasste Meinungen über so manches Wesen überdenken muss. Bei solch einem literarischen Vermögen sollte es verwundern, wenn Krouk mit dem Nachfolger "Nachtseelen" nicht ein ebenso großer Wurf gelänge wie mit diesem herausragenden Auftakt zur Nachzehrer-Trilogie.
Susann Fleischer
18.01.2010