Krimis & Thriller
Auf den Spuren eines perfiden (Mord-)Planes
Ein grausames Erlebnis in der Vergangenheit kann einen Menschen nachhaltig verändern. Die Beobachtung eines Mordes an Verwandten oder Freunden kann zu einer Störung in der Psyche führen. Der Mensch kann nicht mehr Richtig oder Falsch unterscheiden. Und manches Mal geht es dann sogar soweit, dass dieser Mensch selbst zum Mörder wird. Mit einer solchen dramatischen Begebenheit aus der Vergangenheit des jungen Mädchens Madeline Poel wird der Kriminalroman "Kaltes Gift" des Autors und ehemaligen Polizisten Nigel McCrery eröffnet. In seinem Verlauf wird die Geschichte aus zwei von einander unabhängigen Sichtweisen erzählt: Zum einen aus der Sicht der Mörderin, zum anderen aus der Sicht des britischen Detective Chief Inspector Mark Lasplie.
Das Buch beginnt an einem herrlichen Sommertag im Jahre 1944, als die kleine Kate mit ihren Geschwistern im Garten spielt. Die Großmutter soll auf die spielende Rasselbande aufpassen, womit sie allerdings augenscheinlich überfordert ist. Sie hat sich zwar redlich Mühe gegeben, die vielen Kuchen und den Tee für eine Teeparty zuzubereiten, aber die Kinder toben lieber durch die Gegend und lassen der Großmutter keine Zeit, sich um ihre Pflanzen zu kümmern. Eine Vielzahl von Fragen von Kate, der zusätzliche Geräuschpegel der spielenden Kinder und das Ignorieren von Tee und Kuchen entkräften die Großmutter und führen schließlich zur Katastrophe: Die Großmutter läuft Amok und schneidet Kate (und den anderen Kindern) alle fünf Finger der rechten Hand ab.
Die eigentliche Handlung des Krimis beginnt mit Violet Chambers, die für die alte Dame Daisy Wilson Besorgungen erledigt. In Daisys Haus angekommen, setzen sich die beiden Frauen zusammen, reden ein wenig und trinken Tee. Wie sich allerdings recht schnell herausstellt, trinkt lediglich Daisy den Tee, während Violet ihr Gegenüber genau beobachtet. Violet hat Daisy nämlich Gift in den Tee gemischt und wartet nun darauf, Daisy ein für allemal los zu sein und ihr Leben übernehmen zu können. Und ihr Plan gelingt: Violet Chambers ist von jetzt an Daisy Wilson und macht sich auf den Weg an die Küste Englands zu ihrem nächsten Opfer, das nun um sein Leben fürchten muss.
Die Handlungsstränge rund um die Mörderin wechseln mit denen des beurlaubten Polizeibeamten Mark Lasplie. Dieser leidet zeit seines Lebens an der Krankheit Synästhesie, wodurch er bestimmte Geräusche schmeckt - so schmeckt die Stimme seiner Kollegin Emma Bradbury beispielsweise hauptsächlich nach Zitrone, während Lasplie beim Eingang einer SMS Schokoladengeschmack im Mund hat. Er soll zusammen mit Detective Sergeant Bradbury den Mord an Violet Chambers aufklären.
Der Fall wird immer ominöser als klar wird, dass die totgeglaubte Violet Chambers an ihre Nachbarn und Bekannte Postkarten schreibt, immer pünktlich die Steuern bezahlt und die Einnahmen ihrer Mieter einzieht. Wie kann es da sein, dass die Leiche der Frau in der Gerichtsmedizin liegt? Mit Hilfe der Pathologin Jane Catherall ist bald klar, dass Violet Chambers vergiftet wurde. Aber warum? Nur wegen einigen hundert Pfund Mieteinnahme? Kaum vorstellbar.
Mit viel detektivischem Spürsinn und Durchhaltevermögen kommt Lasplie auf eine heiße Spur, wobei ihm allerdings von seinem Vorgesetzten immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. Da bleibt nur noch zu hoffen, dass Lasplie so schnell wie möglich den Fall löst. Denn ein neuer Mord muss verhindert werden! Und wie hängen die Morde mit der Vorgeschichte der Familie Poel (und der damit verbundenen mörderischen Tat der Großmutter) zusammen? Und wieso wird ausgerechnet DCI Mark Lasplie auf den Fall angesetzt? Dass erfährt der Rezipient nur beim Lesen, am Ende des Buches.
Nigel McCrery war lange Jahre selbst als Polizist tätig, bevor er seinen Job an den Nagel hängte und Drehbuchautor wurde. Er ist unter anderem der Schöpfer der TV-Krimiserie "Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan". Seine Kenntnisse über die Polizeiarbeit lässt McCrery in "Kaltes Gift" einfließen, ohne den Leser zu überfordern. Stattdessen hat er einen spannenden Krimi geschaffen, der den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesseln wird. Dabei geht der Autor die Problematik recht "britisch" an: Die Protagonisten lassen sich weniger durch Emotionen, sondern eher von einer gewissen Kühle leiten, wobei sich Täter und Jäger voneinander unterscheiden. Denn während Violet Chambers, spätere Daisy Wilson, nie Liebe erfahren hat, vermisst Mark Lasplie seine Frau und die beiden Kinder, die ihm eigentlich alles bedeuten.
Der Krimi zeichnet sich zudem durch einen einzigartigen Ansatz aus, denn nicht nur die Handlung prägt den Roman, sondern mit Mark Lasplie hat der Autor einen Polizisten geschaffen, der mit dem einzigartigen Problem der Synästhesie zu kämpfen hat. Dadurch wird der Roman nur umso spannender und interessanter für den Leser. Denn nicht nur in die kriminaltechnische Arbeiten erhält er Einblick, sondern zudem in die medizinische Erforschung von Synästhesie.
Susann Fleischer
25.05.2009