Krimis & Thriller
Grandiose Eröffnung (noch) ohne Krönung
Fans von Jim Butchers überaus erfolgreicher Urban-Fantasy-Reihe um den Magier Harry Dresden mussten sich zuletzt in Geduld üben. Denn der Autor ließ sich für den sechzehnten Band der Reihe ziemlich viel Zeit. Noch härter traf es Leserinnen und Leser, die auf die deutschsprachige Ausgabe warteten, da der Verlag, der hier die Rechte innehatte, insolvent ging. Inzwischen hat aber Blanvalet die deutschen Buchrechte erworben und die Serie neu aufgelegt. Doch können die "Friedensgespräche" die hohen Erwartungen erfüllen?
Für Harry Blackstone Copperfield Dresden kommt es knüppeldick. So sollen nicht nur die Friedensgespräche mit den aggressiven Fomori ausgerechnet in seiner Heimatstadt Chicago stattfinden. Der Magier soll bei dieser Veranstaltung auch noch den Schutz gewährleisten - keine leichte Aufgabe, wenn zahlreiche mächtige und teilweise verfeindete Parteien beteiligt sind. Gleichzeitig gibt es heftigen Ärger mit der Familie und auch die Feenkönigin des Winters, Mab, hat eine unangenehme Überraschung für ihn parat. Harry sieht sich gezwungen, gefährliche Grenzen zu überschreiten. Doch bald überschlagen sich die Ereignisse.
"Friedensgespräche" bietet ein Wiedersehen mit zahlreichen Figuren aus dem Harry-Dresden-Universum. Diverse Anspielungen verweisen zudem auf frühere Romane und Kurzgeschichten. So fühlt sich die Lektüre für Fans der Reihe an, wie nach langer Zeit in ein paar liebgewonnener und besonders bequemer Schuhe zu schlüpfen. Die vielen Mosaikteile, Handlungsebenen und Konflikte sorgen dabei dafür, dass die Lektüre nie langweilig wird. Gleichzeitig liefert Jim Butcher im Verlauf der Handlung gleich mehrere überraschende Wendungen und spannend geschilderte Auseinandersetzungen. Dabei gelingt dem Autor die Kunst, vor allem den magischen Kämpfen immer noch neue Facetten abzugewinnen und seinen Ideenreichtum unter Beweis zu stellen. Der Ton ist insgesamt ernster und nicht ganz so leichtfüßig wie bei einigen früheren Bänden. Das ist aber weniger ein Makel, sondern vor allem der geschilderten Bedrohungslage geschuldet, die noch drastischer ist als in den früheren Büchern der Serie ausfällt. So gibt es etwa nicht ganz so viele unterhaltsame popkulturelle Anspielungen, wie in den Bänden zuvor.
Wer nach einem echten Kritikpunkt Ausschau hält, könnte anmerken, dass "Friedensgespräche" etwas unabgeschlossen wirkt. Es scheint fast so, als hätte Jim Butcher beim Schreiben gemerkt, dass er seine umfassende Vision nicht in einem Einzelband abschließen kann und dann eine Zweiteilung vorgenommen. Analog zu einem Schachspiel legt der Autor also eine grandiose Eröffnung hin. Er kommt jedoch (noch) nicht über das Mittelspiel hinaus. So lässt er sein Lesepublikum am Ende praktisch auf dem Spannungshöhepunkt zurück, an dem viele Figuren aussichtsreich positioniert sind, bevor es zur eigentlichen Auseinandersetzung kommt. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Schließlich ist der Fortsetzungsband "Titanenkampf" bereits erhältlich.
Jim Butcher hat es immer noch drauf und zeigt mit "Friedensgespräche" bekannte Stärken. Wer allerdings ein echtes Ende haben möchte, das diesen Namen auch verdient, kommt um die Lektüre von "Titanenkampf" nicht herum.
Ingo Gatzer
08.07.2024