Krimis & Thriller

Voynich - geknackt!

Vor über einem Jahrhundert entdeckte der amerikanische Büchersammler Wilfrid Voynich in einem italienischen Jesuiten-Kolleg eine höchst rätselhafte Schrift. Heutzutage zählt dieses sogenannte Voynich-Manuskript zu den größten ungelösten Problemen der Kryptographie. Keine bekannte Schrift der Welt konnte bisher mit der in besagtem Manuskript verwendeten Kunstschrift in Zusammenhang gebracht werden. Somit ist bis heute nicht einmal klar, ob darin überhaupt ein sinnvoller Inhalt abgebildet worden ist. Dennoch scheint aufgrund der zahlreichen Abbildungen offensichtlich, dass verschiedene inhaltliche Sektionen wie z.B. zur Kräuterkunde, Astrologie, Kosmologie oder Pharmazie im Voynich-Manuskript behandelt werden. Untersuchungen zum Alter des Manuskripts zielen irgendwo auf das 15. bzw. 16. Jahrhundert ab, auch gibt es einige Indizien, die dafür sprechen, dass das Voynich-Manuskript seinen Ursprung am Hofe Rudolfs II., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs haben könnte ...

Die Mathematikerin Zina Welter fühlt sich nach ihrer höchst vorbildlichen akademischen Karriere mit einem Abschluss in Princeton und ihrem ersten Job bei einer Investmentbank benutzt und ausgelaugt. Da kommt ihr eine E-Mail ihres ehemaligen Uni-Professors zum ungelösten Rätsel des Voynich-Manuskripts gerade recht. Fortan ist Zina wie besessen davon, das Voynich-Manuskript mit ihren effizienten Algorithmen zu knacken. Ihre Arbeit findet sehr schnell Aufmerksamkeit im weltweiten Netzwerk der Voynich-Anhänger. So stellt sie auf einer Tagung in London ihre Ideen zur algorithmischen Bekämpfung dieses Rätsel vor und findet sogleich Begeisterung im "inner circle" dieser Anhängerschaft vor. Mit einem tschechischen Professor, dem englischen Betreiber des Voynich-Netzwerks, ihrem ehemaligen Uni-Professor und einer weiteren Voynich-Fanatikerin begibt sich Zina auf einen lebensgefährlichen Code-Knacker-Trip durch halb Europa.

Der niederländische Schriftsteller Donald Nolet hat mit "Kryptogramm" seinen zweiten Thriller vorgelegt und dabei wie ein DJ am Mischpult geschickt Fakten mit Fiktion gemixt. Er beweist offenkundig großes Fachwissen zum kryptographischen Hintergrund des Themas und viel kreative Fantasie, wenn er mögliche Vermutungen fiktiv ausstaffiert. So eröffnet er neben der paneuropäischen Schnitzeljagd von Zina und ihren Mitstreitern einen Erzählstrang im Jahre 1611, als sich zu Zeiten Rudolfs II. beinahe die gesamte Intelligenz der damaligen Welt an dessen Hof in Prag aufhielt. Diese Konstellation lässt die Voynich-Anhänger darauf hoffen, dass sich ein wie auch immer gearteter Stein der Weisen hinter der perfekt gesicherten Fassade des Voynich-Manuskripts verbirgt. Diese Aussicht hegen allerdings auch weitere Gruppen wie Geheimdienste oder die Kirche, die Zina mehrfach und deutlich zu verstehen geben, dass sie über Leichen gehen werden, um des Rätsels Lösung an sich reißen zu können.

Bei Besprechungen zum vorliegenden Buch wird man hier und da sicherlich den Zusatz "für Freunde von Dan Brown" finden. Zwar operiert Nolan anders als Brown nicht überbordend mit Cliffhangern, um ein Maximum an Spannung zu erzielen, doch geht er mit "Kryptogramm" inhaltlich ein Stück weiter als sein prominenter Kollege. Während Brown sich stets nur oberflächlich um die Hintergründe schert, begibt sich Nolan "in medias res". Jeder kryptographisch interessierte Leser wird sich sehr schnell in die eindringliche Darstellung von Zinas Versuchen, den jahrhundertealten Code zu knacken, hineinversetzen können. Dagegen hat Nolan beim Vorantreiben des Spannungsbogens sicherlich noch Luft nach oben, so dass er sich für künftige Bücher noch dieses oder jenes von Altmeister Brown abschauen könnte.

Doch auch Voynich-unkundige Leser werden definitiv Gefallen finden an diesem deutschsprachigen Debüt eines hoffnungsvollen niederländischen Schriftstellers. Die Preise, die Donald Nolet in seinem Heimatland für "Verschlüsselt" erhalten hatte, waren Anlass genug, seinen zweiten Roman auch im deutschen Nachbarland herauszubringen. Gemäß den Mechanismen des Marktes dürfte auch noch in Kürze eine deutsche Ausgabe seines Erstlings nachgelegt werden. Wer Geschichten liebt, die einen fundierten Faktenkern zum Inhalt haben und nur so vor blühender, aber doch potentiell möglicher Fantasie strotzen, der wird bei "Kryptogramm" seine wahre Freude haben. Außerdem wird der Leser nach dem Roman garantiert das weltweite Netz nach Informationen zum aktuellen Stand der Voynich-Forschungen durchwühlen und in den kommenden Jahrzehnten Augen und Ohren offen halten, wenn denn dann eines Tages tatsächlich das Mysterium hinter diesem Manuskript geknackt werden sollte.

Christoph Mahnel
11.12.2017

 
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Das Buch:

Donald Nolet: Kryptogramm. Aus dem Niederländischen von Simone Schroth

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München: Droemer Verlag 2017
384 S., € 14,99
ISBN: 978-3-426-30621-5

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