Kinder- & Jugendbücher

Weltberühmte Gemäldesammlung gestohlen!

"Finde die Fälschung – du bist der Detektiv!" Einer Aufforderung wie dieser kommen Kinder ohne zu zögern nach. Denn das bekannte Suchspiel – worin unterscheiden sich zwei Bilder? – ist hier zu einem spannenden Kunstkrimi gestaltet, in dessen Mittelpunkt der junge Leser sich selbst wiederfindet.

Aber der Reihe nach: Herr Maler, Wärter des weltberühmten Stadtmuseums, steht vor einem großen Problem. Von 34 Kostbarkeiten, Gemälde großer Meister aus sechs Jahrhunderten, sind 30 gestohlen und durch raffinierte Fälschungen ersetzt worden. Jetzt braucht er dringend die Hilfe eines schlauen Detektivs. Vertrauensvoll wendet er sich an den jungen Leser des vorliegenden Buches, um ihn zur Übernahme des Auftrags zu motivieren. Ausgehend von dessen Ja geht Herr Maler, dessen Verzweiflung auffallend schnell verfliegt, sofort zu den Vorbereitungen über. Er sorgt für die Beschaffung sämtlicher Arbeitsmaterialien und gibt alle notwendigen Informationen methodisch strukturiert weiter: einen Plan des Stadtmuseums, einen vollständigen Museumskatalog sowie die jüngsten Mitteilungen der internationalen Kunstpolizei über vier berüchtigte Fälscherbanden. Nach einer ersten Proberunde kann die Arbeit endlich beginnen. Sie besteht aus drei Teilen: Unterscheidung zwischen Originalen und Fälschungen, Identifizierung des jeweiligen Kunstfälschers anhand des diskret eingearbeiteten Bandenzeichens bzw. seiner speziellen Künstlersignatur (1–4 Fälschungen), Ermittlung des Namens des geheimnisvollen Anrufers aus der Eingangsszene.

Für einen engagierten und erfahrenen Detektiv zweifellos ein packender Fall, für dessen Auflösung er die besten Voraussetzungen mitbringt. Denn er liest gerne und hat seine Spürnase wohl schon in Reihen wie Die drei ??? (Kosmos), Die Knickebocker-Bande (Ravensburger), Die Schatzsucherdrillinge (Ravensburger) oder den Club der Rätseldetektive (Loewe) gesteckt. Ja womöglich hat er auch schon an historischen Schauplätzen ermittelt (Detektiv im alten Griechenland etc., arsEdition). Und überhaupt, Scharfdenker sind heute gefragter denn je. Ob Heftchen oder Bücher, von audiovisuellen Medien ganz zu schweigen, jede Menge gute Kinderkrimis warten auf ein heimliches Rendezvous – und zwar insbesondere solche, in denen die standardisierten Erzählmuster derart variiert werden, dass der junge Leser sozusagen ins Buch "einsteigt" und die zentrale Rolle des Detektivs besetzt. Bei so viel Engagement ist es daher schon ein wenig frustrierend, um nicht zu sagen ehrenrührig, wenn Herr Maler nach Abschluss des vorliegenden Falls mit der Bemerkung aufwartet: "Es macht nichts, wenn du nicht alles herausbekommen hast. Während du beschäftigt warst, habe ich mich selber als Detektiv beschäftigt und meine eigene Tabelle ausgefüllt. Nimm die Lupe zur Hand, wenn du unsere Aufzeichnungen vergleichen willst." – "Ach, so ist das. Du brauchtest mich also gar nicht wirklich?"

Trotz dieses inhaltlichen Schwachpunkts sowie zweier grober formaler Fehler (Auf S.8 muss es "2. Finde die Fälscher heraus" heißen und auf S.7 muss der Name eines Kunstfälschers der Baumbande zu "Matteo Meloni" geändert werden) funktioniert das Suchspiel. Es bereitet Kindern ab sieben Jahren außerordentliches Vergnügen, auf ihrem imaginären Rundgang durch das Museum (oberer Buchteil) das jeweilige ausgestellte Kunstobjekt mit Hilfe einer durch den Farbstich besonders authentisch wirkenden Abbildung im Museumskatalog (unterer Buchteil) auf seine Echtheit hin zu überprüfen und der Lösung Schritt für Schritt näher zu kommen. Es liegt auf der Hand, weshalb die zweite Nutzungsmöglichkeit besagten Kinderbuches, nämlich seine Rezeption als informatives Kunstbuch, erst nach der Überführung der Kunstfälscher interessant wird. Das ist jedoch keineswegs als ein Nachteil zu werten, ganz im Gegenteil! Denn eine gewisse Vertrautheit im Umgang mit einem Stück europäischer Kunstgeschichte hat sich während der Suche nach den Kunstfälschern bereits wie von selbst eingestellt. Dass sich der Blick für bestimmte ästhetische Details geschärft hat und sich mit einigen Künstlernamen erste Assoziationen verknüpfen, erleichtert in jedem Fall die Lektüre der z. T. doch recht schwierigen Sachinformationen, die der Museumskatalog zu sämtlichen Reproduktionen bereithält. Eine in stärkerem Maße deskriptive Sprache sowie ein umfassenderes Glossar, das auch historische Begriffe mit aufnimmt, wären insofern wünschenswert gewesen. Begriffe wie "Kunstgriff der perspektivischen Verkürzung", "Post-Impressionist", "ungewöhnliche optische Illusion", dreidimensionale Wirkung" sind für junge Leser vielfach Fremdwörter!

Alles in allem aber hat Anna Nilsen mit ihrem neuen, für Kinder ab zehn Jahren empfehlenswerten Buch einen Volltreffer gelandet. In seiner Grundkonzeption ähnelt es dem, was Anthony Browne mit "Willi der Maler" (Lappan, 2000) – für jüngere Leser und in unverwechselbar komischer Manier – geschaffen hat: ein Sachbuch zum Thema Kunst, dessen Inhalte allerdings so raffiniert "verpackt" werden, dass es selbst als kleines Kunstwerk in den Blickpunkt gerät. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch Andy Parker’s modernen Illustrationsstil erzeugt. Ihre am Comicstil orientierte, hyperrealistische Ausdrucksweise kontrastiert in sinnfälliger Weise mit den ausgewählten Gemälden längst vergangener Epochen. Kein Wunder also, dass die "Kunstfälscher" schon heute in der 2. deutschen Auflage vorliegen. Das Abenteuer Kunst hat jetzt so richtig beginnen. Zahlreiche hervorragend ausgestattete Bildbände zu einzelnen Künstlern, Künstlergruppen sowie Kunstrichtungen, wie sie etwa in der gleichnamigen Reihe vom Prestel Verlag herausgegeben werden, laden schon heute zu vertiefender Betrachtung ein.

gda
04.03.2002

 
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Das Buch:

Anna Nilsen: Kunstfälschern auf der Spur. Finde die Fälschung - du bist der Detektiv

München: arsEdition 2002
48 S.
ISBN: 3-7607-4703-5

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