Gedichtbände
Meines Bruder Hüter
Hinter "Meines Bruders Hüter" verbirgt sich lebensnahe Lyrik. Gedichte voller Gefühl. Marion Gavin erzählt auf ihre Weise vom Leben - vom Vergangenen, von Traurigkeit, von Einsamkeit, aber auch von Stärke, Erkenntnis und Liebe. Und über allem schwebt und wacht des Bruders Hüter.
Marion Gavin beginnt mit dem Ende, welches zugleich der Anfang ist: das Osterfest. Wie viele Tode müssen wir noch auferstehen? Und Hoffnung ausgraben am dritten Tag? Wir leben im ewigen Gedenken. Werden zurückgeführt an den Tag, an dem uns alle Sünden vergeben wurden und dafür ein Menschenleben geopfert werden musste. Die Kreuzigung Jesu Christi weckt tiefe Gefühle in uns, rührt uns zu Tränen und macht uns bewusst, dass er seinen Schmerz weder hinausgeschrien noch in Tränen ertränkt hat. Stumm das Leid erduldet - für uns.
Wunderschön auch die Novemberzeilen, die uns bewusst machen, wie sehr alles von den Jahreszeiten abhängig ist. Wie wichtig es ist, sich nach getaner Arbeit auszuruhen und Kraft für die nächste Jahreszeit zu schöpfen. Aber auch die immer wiederkehrende Verwandlung wird sichtbar, wenn alles erstirbt, die Schönheit dahin ist, nur um irgendwann wieder in voller Blüte und Pracht aufzuerstehen. Die Zeilen über den Abmarsch lassen einen denken an schlimmste, deutsche Vergangenheit und doch schwingt keine Gewalt in ihnen, vielmehr werden wir davongetragen, hineinversetzt in diesen Marsch ins Ungewisse, von dem wir heute wissen, wohin er geführt hat. Es berührt noch immer, auch nach so vielen Jahrzehnten.
Des Henkers Gedicht konfrontiert uns mit unseren Ängsten. Wir hören leise Schritte, die immer lauter werden und fragen uns, wer uns besucht oder ob unsere Zeit womöglich abgelaufen ist. Das Rendezvous mit der Zeit ist wunderbar tiefsichtig, phantasievoll und von so einfach klärender Sprache. Des Bruders Hüter erzählt von quälenden, nächtlichen Träumen, macht den Verlust deutlich, aber auch die Akzeptanz, es hinnehmen zu müssen, aber tief im Innern zu wissen, dass man immer verbunden und eins bleiben wird. Die Kraft und die Macht der Liebe ist unauslöschlich, auch über den Tod hinaus. Tief zu Herzen gehend sind die Zeilen über die winzigen Helden. Damit sind nicht nur Kinder gemeint, sondern Menschen, die noch Ehrfrucht haben, die nicht nur nach Sättigung gieren, nach Überfluss und Materiellem. Fast abschließend dann das ergreifende Plädoyer.
Die Autorin schreibt aus tiefstem Herzen heraus. Sie blickt hinab in die Seelen der Menschen und auf das Schicksal der Menschheit. Sie kehrt Gefühle an die Oberfläche, die lang verschüttet waren. Aber nicht nur Vergangenes findet Betrachtung, auch die Auseinandersetzung mit dem Tod dieser Tage, mit dem Leben dieser Tage. Tapfer macht sich Marion Gavin Gedanken und bringt sie mit metaphorischer Sprache zu Papier. Ihrem Gedankengut sind keine Grenzen gesetzt. Jede Zeile fließt dahin und mündet in der anderen, wie eine seichte, leicht sprudelnde Quelle. So voller Reinheit und Wahrheit, dass man so manches Mal nachdenklich und ernst wird, sich fragt, welche Rolle man selber spielt.
Tanja Küsters
20.12.2010