Gedichtbände

Einladung zur Liedkunst des Mittelalters

Schon seiner "Konstruktion" nach ist das Buch "Liedermacher des Mittelalters" der erfahrenen Autorin H. Burdorf-Lautenbach etwas Intelligentes und vor allem Anregendes. Und das für mehr Menschen, als sich auf Anhieb vermuten lässt.

Das ohne Zweifel ungewöhnliche Werk, das auf 182 Seiten eine eigene Welt erlebbar macht, bringt im ersten Teil acht Vertreter der höfischen Liedkunst, die als wegweisend bezeichnet werden dürfen. Im zweiten Teil folgen spätere Beispiele des Minnesangs, geordnet nach Sujet und Form.

Wir treffen auf Kaiser Barbarossas Sohn Heinrich VI., dessen Leben klangvolle Namen wie die Heinrich des Löwen und Richard Löwenherz´ aufscheinen lässt. Und wir lesen von mittelalterlichen "Klassikern" wie Walther von der Vogelweide und Hartmann von Aue.

Leider wird uns heutzutage gelegentlich der gute Weg zu jenen Jahrhunderten, die dem Aufbruch zur Neuzeit vorangingen, versperrt durch Darstellungen namentlich im Filmbereich, die verschönern oder verunglimpfen, jedenfalls aber versimpeln - als ob es darum ginge, aus dem Mittelalter nur das Action-Würdige herauszusaugen.

Das authentische Mittelalter des Minnesangs liegt dort, wohin die Brücken des vorliegenden Buches führen. Genau dies ist das Verdienst und auch das Ungewöhnliche der Publikation: dass sie hinführt und anleitet, ohne böse zu belehren. Man mag mehr über das Textliche gehen, in Deutschlektionen etwa, oder mehr über den Klang der Lieder, im Musikvortrag - es öffnet sich ein weiter und alles andere als selbstverständlicher Kosmos, eine Welt voller Burgen und Spiele, in der man eben beides zugleich schmieden konnte: Waffen und Verse. Wer diesem Zauber folgen möchte, ist mit "Liedermacher des Mittelalters" von H. Burdorf-Lautenbach sehr gut beraten.

Das Buch ist insofern Anleitung, als es neben die wunderlichen mittelhochdeutschen Texte die nachvollziehbare Übertragung stellt. Mehr noch: Mancherorts findet der Leser die Liedfolgen in gezeichneten Tonsätzen vor. Damit rückt man möglicherweise noch näher zu dem vor, was der Autorin vorgeschwebt haben mag, nämlich zur Einladung, sich still lesend oder vorlesend, singend oder gar mit Instrumenten spielend dem Zauber zu nähern. Einladung - das ist wohl der zutreffende Ausdruck, der auch gut zur Gestik der Dame von damals passt.

Zu den Abschnitten hat die Autorin eigene Gedichte gestellt. Es sind Einstiegsverse, die mehr als nur Zugang sind. Es sind Brücken, die von großem Eigenwert sind, die an jene Brückenbauten erinnern, die auch ohne das funktionale Dies- und Jenseits der Ufer die Menschen anzuziehen vermögen. Das romantische Heidelberg kam ebenso wenig aus ohne Brückenwerk wie Florenz und Rom. In diesem Sinne darf man diese Strophen genießen, noch ehe sie zur alten Quelle führen: "Wie sich minne hebt das weiz ich wol; wie si ende nimt des weiz ich niht."

Burdorf-Lautenbach nimmt den Unwissenden an die Hand und deutet behutsam, was die Symbolsprache der Alten vielleicht noch verbirgt. Besonders schöne Beispiele sind "Lebensstrom" zu Walther von der Vogelweide mit einem Lied zur Bildbetrachtung und "Bedenken" mit dem herausfordernden Spiel von Blick und Pfeil, das die Meta-Betrachtung provoziert.

Mit diesen Hilfen werden keine Ausdrücke und auch keine Vorgänge ein hartes Verständnisrätsel bleiben, vorausgesetzt, man schaffe es, sich von Klischees richtig zu lösen und sich freizumachen für das schöne Fremde dieser höfisch geprägten Minnewelt.

Ronald Roggen 
20.09.2010

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

H. Burdorf-Lautenbach: Liedermacher des Mittelalters. Minnesang

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt am Main: Fouqué Literaturverlag 2006
182 S., € 11,40
ISBN: 978-3-86548-238-9

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.