Gedichtbände

Gedichte im wiegenden Atem

Es sind über hundert Gedichte, die Berthi Fahr in ihrer Sammlung "Mein Haus sei dieser Tag" vorlegt. Sie sind datiert, und einzelne zeugen davon, dass sie mit einer Widmung an eine Person geschickt wurden.

Wer von Anfang an den Buchtitel richtig interpretieren möchte, möge doch das Schlussgedicht "Dieser Tag" lesen, das Berthi Fahr im Februar 2002 verfasst hat und folgendermaßen schließt:

"So wird die Welt zur Frag' -
Doch nah ist ferne Zeit!
Mein Haus sei dieser Tag!"

Beim genaueren Hinsehen erkennt man, dass das Demonstrativpronomen "dieser" kursiv hervorgehoben wurde. Das mag deutlich machen, dass Gedichte unter anderem auch der Intention dienen, sich im Hier und Jetzt zurechtzufinden. "Komm lass uns Brücken bauen" heißt es in "Fremde Nähe". Im Gedichtband wird tatsächlich Harmonie gesucht. "Wo ist Glück?", fragt ein Gedicht, während ein anderes den Blick auf die "Blume der Sehnsucht" wirft. Letztlich ist es die Sehnsucht nach dem Ausgleich, die sich hier zeigt. "Mit sich ins Reine kommen", sagt der Volksmund dazu.

Man hört schwerdurchlittene Zeiten heraus, über die Berthi Fahr schreibt. Es treten Verletzungen zutage und es werden Schmerzen beklagt. Auch von Verlassenheit ist die Rede. Es schimmern hart durchlebte Erlebnisse durch, die auch Erlebnisse im Leser zum Klingen bringen. Zu diesen Erinnerungen kommt Zuversicht. Mehrere Gedichte öffnen tiefere Ebenen die im christlichem Hintergrund ihre Wurzeln haben.

Es tritt dem Leser eine ausgesprochen bildhafte Sprache entgegen, die das Ganze begreifbar macht. Berthi Fahr spricht in Bildern, lässt die Freiheit fliegen. "Fliegen" ist im ganzen Buch von auffallend zentraler Bedeutung, ähnlich "wachen" und "schützen". Vielleicht macht gerade dieses Wiederkehren gewisser Begriffe den Band so eindrücklich. "Gefangen geboren" und "Liebe - aus dem Nichts geboren", oder Worte, die "im Schweigen geboren" wurden, dieser Reigen prägt sich dem Leser ohne Zweifel ein.

Sehr oft spielt die Szenerie draußen, in der freien Natur. Die Psyche empfindet die Natur in Gedichtform. Es ist streckenweise Naturlyrik, und das könnte man auf die ganze Sammlung ausweiten, wenn man eben gleich alles Seelische zur Natur zählt.

Für Lyrik war Heidelberg schon immer eine gute Behausung. Berthi Fahr lebt in dieser Stadt der Romantik und arbeitet dort als Atemtherapeutin und Heileurythmistin (Anm. der Red.: rhythmische Bewegungstherapie). Im Buch "Mein Haus sei dieser Tag" findet sich denn auch eine Rhythmik, die dem Atem folgt. Sehr schön liest sich das im wiegenden "Lobgesang am Meer" heraus. Eines der Gedichte heißt sogar "Atemlied".

Welches dieser Gedichte bewegt mich am stärksten, wird sich der Leser fragen, und er wird ehrlicherweise einen Grund suchen dafür. Ist vielleicht "Abschied" das schönste überhaupt? Aber weshalb sollte gerade diesem die Ehre zuteilwerden?

Nicht nur zum Bedenken und zum Auswählen ist das Buch gedacht, wobei es sich empfehlen dürfte, die Gedichte einzeln zu lesen, vielleicht nur eines pro "diesen" Tag. Nein, auch eine Einladung, sich selber an ein eigenes Gedicht zu wagen, könnte in diesen rund 150 Seiten stecken.

Ronald Roggen
07.06.2010

 
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Das Buch:

Berthi Fahr: Mein Haus sei dieser Tag

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2009
156 S., € 9,90
ISBN: 978-3-8372-0433-9

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