Gedichtbände

Gedichte in ungestümer Bewegung

Mit 60 schmalen Seiten liegt ein scheinbar harmloses kleines Werk vor, das sich in großen Buchhandlungen bald einmal verlieren würde. Aber "Das Unsicherste: Immer" ist eine Gedichtsammlung von erheblichem Wert. Und die Autorin, die Biologin Christine Dahl, verdient ohne Zweifel Aufmerksamkeit.

Eigentlich verdient sie weit mehr als flüchtige Aufmerksamkeit. Denn Gedichte sind ein Wagnis in mehr als nur einer Beziehung. Sie kehren Persönliches nach außen und geben sehr viel preis. Sie riskieren aber auch in ihrer Eigenwilligkeit einiges, denn wer nicht im unübersehbaren Mainstream poetische Werke für die Masse anliefert, schmälert die Weite seines Publikums.

So wird man sich darauf einstellen müssen und - mehr noch - dürfen, wie Christine Dahl sorgsam die Realitäten überhöht. In den ersten Gedichten, die sich in Gruppen reihen, ist es eher Gedankenlyrik, der man Zeile um Zeile folgt. Es sind zum Teil recht lange Sequenzen, in denen das Ohr mitschwingen kann. Aber mehr noch als das Ohr ist das innere Auge angesprochen. Das Naturspektakel, wie es in modernem Wortgebrauch heißen würde, wird mit starker Bildkraft gefasst. "Kino im Kopf" heißt die zu billige Formel für dieses Erlebnis.

In der Sprache erweist sich die Autorin als jederzeit spürsicher, wobei auffällt, dass es ganz allgemein mehr Aktivität als statische Beschreibung gibt. Das Verb obsiegt, das Adjektiv verblasst in seiner Bedeutung, das vermittelt dem Ganzen eine Dynamik ganz besonderer Art. Schlägt hier die grabende, krabbelnde, fliegende Insektenwelt durch, mit der sich Christine Dahl beruflich befasst?

Wie gesagt: Es ist einige Vorstellungskraft verlangt. Oder mehr noch die Bereitschaft mitzugehen. Denn Christine Dahl spannt ein gewaltiges Fantasiereich auf, das man in diesem Büchlein sicher nie vermuten würde. Gelungene Metaphern belohnen die Lektüre, keine Frage, und Einsichten in mancherlei Art.

Im hinteren Buchteil - etwa in der schönen "Sherazade an Ariel" - erscheinen die Zeilen stärker gerafft. Aber was sich zunächst als kurzatmig zeigt, verrät sich rasch als starkes Gefühl. Gerade hier mag man sich als Lyrikfreund vielleicht besonders wohl fühlen. Als hervorragend gelungen darf man etwa "Die Spur einer Rose" bezeichnen.

Man könnte sich das Buch in der Abgeschiedenheit eines verschneiten Ferienhauses vorstellen oder aber inmitten einer aufgeschlossenen Gruppe interessierter Menschen, die einem talentierten Sprecher lauschen. Diesem wäre allerdings die nicht ganz leichte Aufgabe überlassen, beim Vortragen die angemessene Rhythmik zu finden, denn die Autorin überlässt weitgehend satzzeichenfreie Sätze der freien Interpretation.

Letzteres ist übrigens beachtenswert, denn die Autorin ist beruflich in einer Sparte tätig, in der einst der berühmte Linné mit hartem Imperativ deutliche Strukturen diktierte. Übrigens: Auch Christine Dahl lebt in Schweden, im Wörtchen "Spätsommar" verrät sie es. Da liegt die Assoziation mit langen Winterabenden und einsamen Landschaften nahe - und in eine derartig zeitlose Umgebung gehört der Gedichtband auch sicher hin.

Ronald Roggen
18.01.2010

 
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Das Buch:

Christine Dahl: Das Unsicherste: Immer

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2009
60 S., € 10,80
ISBN: 978-3-8372-0568-8

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