Gedichtbände

Raum und Zeit

Wiltrud Henningsen legt einen weiteren, umfangreichen Gedichtband ihrer in sprache gebunden-Reihe vor. Dieser nunmehr vierte - diszipliniert durchstrukturierte - Band entfaltet seinen Facettenreichtum in unterschiedlichen Themenfeldern, die es an Aktualität und Bedeutsamkeit nicht fehlen lassen.

"Menschengesellschaften", plädiert für ein neues Miteinander der zwischenmenschlichen Beziehungen, gleich auf welcher Ebene sie bestehen. Ob im Kommunikationsprozess ganzer Völker oder "nur" zwischen Nachbarn "zu Hause", bedeutsam ist: Vielfalt kann nebeneinander bestehen, wenn wir sie achten und gegenseitig Rücksicht nehmen - ein "Plädoyer für Toleranz", wie eins der Gedichte betitelt ist. Dazu zählen auch Lebensgesetze, wie das der Nicht-Einmischung, das besagt, dass man anderen Menschen seine Aufmerksamkeit, sein Mitgefühl und seine Anteilnahme schenken kann, aber dass es ungut ist, sich in das Leben eines anderen

einzumischen: 
es ist die gefahr 
dass man denkt 
in anderen räumen 
in anderem denken 
und anderem sein

Ein anderer Abschnitt widmet sich gedanklich dem Thema "Sein und Werden". Der Lauf der Zeit ist wellenförmig und das Leben beinhaltet immer auch beide Seiten der Medaille: laufen und ruhen, kämpfen und beten, sterben und leben:

lebenswellen

wellen des lebens 
hinauf und hinunter 
kraftvolles streben 
leiden erleben 
trägt dich durchs leben 
hinauf und hinab 

Menschen, Gesichter, Gedanken, aber auch Dämmerlaub und Sorgenstaub werden in "Verwehte Begegnungen" über die Seiten geweht.

resümee des lebens

innehalten 
den spiegel besehn 
vergangnes gehofftes gelebtes erreichtes 
nicht erreichtes

Das Kapitel "Formungen" spielt mit Sprache, wie z.B. bei dem Thema Raum und Zeit:

raum und zeit

räume 
zeiträume 
wegräume 
lebensräume 
zeit 
wegzeit 
meßzeit 
lebenszeit 
raum 
denkraum 
stellraum 
lebensraum

Als wiederkehrendes Stilmittel benutzt die Autorin die Wiederholung eines Wortes in den unterschiedlichsten Variationen" und auffällig ist ihre Art, einen Rhythmus herzustellen, indem sie Worte oder Satzteile wiederholt, variiert und nebenbei als Gerüst benutzt, um welches sich zum Denken oder Träumen anregende Wortblüten ranken.

beleuchtungseffekt

spielendes licht unter bl?ttern 
verändert 
verwandelt 
bringt leben

spielendes licht des erkennens 
verändert 
verwandelt 
bringt denken

spielendes licht des zusammen 
verändert 
verwandelt 
bringt neues

spielendes licht in dem leben 
verändert 
verwandelt 
bringt weiter

"Rückzug" kann man auf vielerlei Arten leben: in der gesuchten einsamen Stille, im Schmerz, in der Erschöpfung oder aus dem Gefühl des Unverstandenseins heraus. Wiltrud Henningsen weiß am Ende:

ich muss nun wieder selbst mich fragen 
ich bin mir selbst der ort 
ich kann mir nur mein leben füllen 
hab viel und nichts gewußt

Der Abschnitt "und immer wieder ..." bestätigt, dass trotz menschlicher Zweifel und Sorgen stets neue Aufgaben bereitstehen, dass Pflanzen wachsen und gedeihen, dass Tiere ihre Lebensräume bewirten - dass "Zeit zum Leben" unser Sinn hier heißt. Wir leben in Einklang mit der Natur, sie hüllt uns ein, nimmt uns auf:

ein blick in den garten

ist trost schon für vieles 
ist schönheit 
ist staunen 
ist leben ...

Das letzte Kapitel "... es lebt" beginnt mit dem Gedicht "Frühlingsfrei". Es grünt und wächst, es duftet und blüht, aus Frühling wird Sommer, es schwirrt und blüht, es hummelt und summt, aus Sommer wird Herbst, mit "herbstenden Blättern" und "naßbraunen Nestern", die Ernte ist reichlich. Die Winterwelt bedeckt der Schnee, geborgen liegen die Samen für neues Leben, neues Wachstum, für ein neues JA.

hsc 
18.09.2002

 
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Das Buch:

Wiltrud Henningsen: in sprache gebunden - vier

CMS_IMGTITLE[1]

Münster: Wiltrud Henningsen Verlag 2002
376 S.
ISBN: 3-9808-8651-4

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