Erzählbände & Kurzprosa
Spuren spüren
Venedig ist ein Denkmal der Architektur. Wieder und wieder sind es Dichter, die dem Denkmal literarische Denkmale setzen. Am eindruckvollsten tat das in den vergangenen Jahrzehnten der Petersburger Joseph Brodsky (1940-1996). Sein Name ist sofort gegenwärtig, wenn das Buch "La vita è bella" in die Hand genommen wird: Eine Sammlung von "Miniaturen aus Venedig", die Michael G. Fritz verfasste.
Dem Autor tut der Verlag einen Kränkung an, indem auf eine Zeitungsnotiz hinweist, die den Schriftsteller als "Geheimtipp unter deutschen Erzählern" kürt. Die An- oder Verkündigung bringt es mit sich, dass bereits nach den ersten Buch-Seiten an Brodsky gedacht wird. Fritz ist kein Brodsky. Brodsky ist kein Konkurrent. Am Schluss des Buches, eher nebenher, erwähnt der Deutsche den Namen des russisch-amerikanischen Literaturnobelpreisträgers. Mehr muss nicht sein! Fritz muss keinen Bückling vor keinem Kollegen machen. Keinem Brodsky, Pound oder Thomas Mann.
Auf seine Art ein Souverän, hat Fritz seine Miniaturen geschrieben, die eher Kleinplastiken ähneln als einem einzigen monumentalen Denkmal. Prinzipiell ein präziser Prosaist, belastet er manche Miniatur durch eine pädagogische Pointe. Das erzieherische Naturell des Autors lässt solche Sätze zu: "Vor dem Fenster des ersten Stocks gegenüber bewegt sich die Wäsche im sanften Luftzug, in der vordersten Reihe wie auf dem Präsentierteller hängen BHs und Höschen, sämtlich von mondänem Schwarz." Ein Satz, den der Auch-Venedig-Verehrer Wolfgang Koeppen dem Erzähler Fritz um die Ohren gehauen hätte.
Was macht es sinnvoll, vielleicht auch wertvoll, sich "La vita è bella" zuzuwenden? Sind es die sprachlichen Arabesken, die der Schriftsteller dem Stuck der Stadt anheftet? Sind es die Statuen, die von ihrer Starrheit befreit werden und sich in die Sphären der Phantasie aufschwingen? Sind es die Töne, die der Stadt-Betrachter "sieht" und die "sämtliche Steine" tanzen lassen? Das alles ist es, was Fritz´ Venedig-Buch anders macht als andere Venedig-Bücher.
Der Schriftsteller verlässt sich auf sein subjektives Spüren der Stadt. Er verlässt sich auf seine Wahrnehmung der Gerüche der Stadt, die der Stoff für seine geäußerten Gefühle und Gedanken werden. Mit den gewonnenen Gefühlen und Gedanken findet Fritz sein Venedig und findet sich in ihm zurecht. Um sich nicht zu verlaufen? Weil Verlaufen ein Verfehlen wäre? Als wäre das die Sorge des Schriftstellers, der genug für sich findet, wo immer was zu finden ist. Vor allem findet er sich selbst: den Schriftsteller Michael G. Fritz. In der Begegnung mit Venedig schaut der Autor auch zurück in die eigene Biographie und sieht sie besser. Was kann ihm besseres geschehen und den Lesern, die ihn begleiten?
Michael G. Fritz´ Begegnung mit der Lagunenstadt ist eine liebevolle erotische Beziehung. Für die er nicht die lauten, heftigen, großsprecherischen Worte hat. Was er sagt, sagt er mit der Gemessenheit des venezianischen Karnevals, zu dem er gar nichts sagt. Sicher ist, da hat einer was erzählt, was er genossen hat und genießt, was ihn nie mehr loslässt: Venedig!
Bernd Heimberger
15.03.2010