Dramen

"Aubade eines Dämons" - Abgesang eines Schürzenjägers

Ein Solo von 32 Takten - das ist die Belohnung, die der alternde Komponist, Dirigent und Frauenheld Charles Frieth denjenigen Damen in seinem Orchester zugesteht, die sich ihm willig zeigen. Der Mittsechziger steckt gerade mitten in den Proben zu einer Wiederaufführung seines frühen Werkes "Aubade eines Dämons", als er die Kontrolle über sein Leben als Ehemann, Geliebter, Komponist, Dirigent und Arbeitgeber verliert und sich das Chaos in seiner schönen Scheinwelt auszubreiten scheint.

Auch Charles' treuer Sekretär Robin und die polnische Haushälterin, die in Charles verliebt ist und glaubt, dass ihre Liebe auf Gegenliebe stößt, können ihren Arbeitgeber nicht vor dem Verderben retten. Ganz im Gegenteil: Der Frauenheld ahnt nicht im Geringsten, dass gerade die Frau, die ihn von allen Frauen am meisten liebt und bewundert, ihn am Ende ins Verderben rennen lässt.

Verblüffenderweise lässt McEwan seinen "Bösewicht" Charles, den gefühllosen Frauenhelden, der nicht bemerkt, wie krank seine Frau ist, und dass der Arzt Simon, ein Freund des Hauses, ihr mehr als nur mit einer Operation aus ihrer traurigen Situation helfen will, am Ende nicht ohne einen Funken Mitleid seitens des Lesers bzw. des Hörers und Zuschauers vor dem Scherbenhaufen seines Lebens stehen. Dennoch sind auch die Momente der Komik und des "Geschieht ihm recht so!" nicht zu verbergen; sie runden das Spektrum der Gefühle, das man als Rezipient durchläuft, auf angenehme Weise ab. 

Für Fans des englischen "Booker Prize"-Gewinners bietet das Libretto "For You" eine interessante Abwechslung und verkürzt die Wartezeit auf den Nachfolger zu seinem letzten Erfolgsroman "Am Strand". Mit dem Komponisten Michael Berkeley hat McEwan nicht zum ersten Mal zusammengearbeitet: Schon 1982 schrieb er den Text zu dem Anti-Atomwaffen-Oratorium "Or Shall We Die?". Mit "For You" betritt McEwan allerdings literarisches und musikalisches Neuland, da dies sein erstes Opernlibretto ist. Aus literarischer Sicht erscheint ein Libretto einerseits redundant mit all seinen Wiederholungen, andererseits jedoch auch gerafft und in seinen Handlungssträngen wenig linear. McEwan bewegt sich jedoch auch in diesem literarischen Genre meisterlich und beweist, dass eine der Entwicklungen in der Geschichte der Oper völlig ungerechtfertigt ist - nämlich die Tatsache, dass das Ansehen von Librettisten im Laufe der Jahrhunderte immer weiter hinter das der Komponisten zurückwich.

Sabine Mahnel
16.11.2009

 
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Das Buch:

Ian McEwan: For You. Libretto für eine Oper von Michael Berkeley. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Englischen von Manfred Allié

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Zürich: Diogenes Verlag 2009
133 S., € 18,90
ISBN: 978-3-257-06684-5

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