Briefliteratur & Tagebuch

Empfindliches empfinden

Das Buch "Jede Freundschaft mit mir ist verderblich" ist eine Sammlung des greifbar gewordenen Briefwechsels zwischen den beiden Österreichern Joseph Roth und Stefan Zweig. Brief-Wechsel ist großzügig formuliert. Zu lesen gibt's im Hauptbuch des Buches überwiegend Briefe, die Roth an Zweig schrieb. Auf den gut 150 Seiten des Kommentars, des Anhangs, des Nachworts kommt Stefan Zweig eher ins Gespräch und zu Wort. Das "Beiwerk" des Buches ist also weit mehr als eine Ergänzung zum Briefwechsel. Die Ergänzungen sind wesentliche Erweiterungen. Den Briefwechsel im Wechsel zu lesen bedeutet, ständig zurück und wieder vorzublättern. Das mag umständlich sein, doch wer dazu nicht bereit ist, beleidigt die gesamte Publikation.

Das mit beispielhafter Sorgfalt ausgeführte Buch macht mit zwei außergewöhnlichen Persönlichkeiten bekannt. Jawohl: Bekannt! Wer könnte behaupten, Joseph Roth und Stefan Zweig zu kennen? Beide waren von einem geprägten, prägenden Eigensinn. War Roth eher der radikale Realist, war Zweig eher ein rücksichtsvoller Romantiker. So ungenügend diese Unterscheidung auch ist, auf das Grundsätzliche der Schriftsteller-Freude ist hingewiesen. Unabhängig der Tatsache, dass sie sich ihrer Freundschaft, ihrer Brüderlichkeit wieder und wieder versicherten. Manchmal klingt's wie Beschwörung. Viel ist gesagt, wenn Zweig dem "lieben Unfreund" sagen muss: "Es hilft Ihnen nichts, Roth, Sie können mich nicht abbringen von Joseph Roth." Das, als die Korrespondenzen, 1927-1938, bereits ein Jahrzehnt hin und her befördert wurden.

Viel, viel Schmerz war in der Begegnung der zwei Souveräne, die als Seelenverwandte fühlten. Menschen, die fähig waren, für eine feste Freundschaft, die das Glück ihres Lebens hätte sein können: Uneingeschränkt und unzertrennlich. Genau das konnte so nicht werden mit der Freundschaft von Roth und Zweig. Das Füreinander-Empfinden wurde, wenn, durch das empfindliche Empfinden der Beiden beeinträchtigt. Vor allem, wenn es das Private war, das die Beziehung unvereinbar machte. Also Roths ungebremste Verschwendungssucht und sein ruinöser Alkoholismus. Schwerwiegender noch waren, allen Gemeinsamkeiten zum Trotz, die Unvereinbarkeiten im Politischen und die daraus resultierenden Handlungen.

Der rigorose Roth war ein Polemiker. Der gab kein Pardon, wenn er das faschistische Deutschland anprangerte. Zweig war der Prosaiker, der mit symbolischen historischen Erzählungen seine Distanz äußerte. Was Roth dem Freund, nicht mahnend, manchmal aber ermahnend, vor allem im düsteren Jahr Dreiunddreißig schrieb, ließ ihn nicht als Propheten erscheinen. Doch wenige der deutschsprachigen, bürgerlichen, intellektuellen, literarischen Prominenz, waren derart hellsichtig wie Roth. Ihn haben die deutschen Faschisten keine Sekunde täuschen können. Für ihn war der Faschismus eine Gefahr, die Europa und die Welt bedrohte.

Roth hat die Zeitgeschichte nicht freundlich formuliert, also mit "humanem Herz", wie er dezent vorwurfsvoll Zweigs Haltung beschreibt. Der Publizist Roth hat radikal reflektiert, was in der Welt geschah. Seine persönliche Geschichte konnte er nicht von der politischen trennen. Manche Marotte seiner politischen Ansichten und Erwartungen, kann heute als absurd bezeichnet werden. Auch in seinem Irrtümern ist Roth erstaunlich. Unverkennbar ist stets die Gewissenhaftigkeit des Schriftstellers, der den Kopf nie aus der Schlinge der persönlich-privaten Bedrängnisse bekam.

Als private Postillen können die Briefe der beiden Autoren nicht abgetan werden. Sie sind die Hilferufe zweier Menschen. Laut, bisweilen lärmend, wenn Roth den Mund aufmacht, um sein persönliches Lebensleid zu artikulieren oder sein Leiden an der Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens. Sanft, bisweilen beschwichtigend, wenn Zweig dem hilflosen Freund, seine Hilflosigkeit, in der Hilfe, bekennt. Nichtig, darüber nachzudenken, wer von der respektablen wie komplizierten Freundschaft eher profitierte. (Merkwürdige Frage, von Profit zu sprechen, wenn Freundschaft im Gespräch ist.) Die Begegnung Joseph Roth - Stefan Zweig hatte ihre beachtliche, beachtenswerte Besonderheit in besonderer Zeit. Eine Zeit, in der der Eine auf den Anderen angewiesen war, ohne dass der Eine den Anderen in der Zeit, im Leben halten konnte.

Wer hat's so wahrgenommen? Bisher? Wer hat's gewusst? "Wir leben nicht mehr in gefälligen Zeiten ...", schrieb Stefan Zweig bereits 1929 an Joseph Roth. Wie ungefällig die Zeit der Ungefälligkeiten werden konnte, äußern zwei Menschen, denen nichts Menschliches fremd war und Menschlichkeit nicht irgend ein beliebiges Wort. Nicht leicht und leichtfertig zu lesen, ist auch nicht leicht und leichtfertig darüber hinwegzusehen, was Roth und Zweig nicht nur sich in ihren Briefen zu sagen hatten.

Bernd Heimberger
23.01.2012

 
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Das Buch:

Madeleine Rietra, Rainer Joachim Siegel (Hg.): Joseph Roth und Stefan Zweig: »Jede Freundschaft mit mir ist verderblich«. Briefwechsel 1927-1938

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Göttingen: Wallstein Verlag 2011
624 S., € 39,90
ISBN: 978-3-8353-0842-8

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