Briefliteratur & Tagebuch

Entschieden empfindsam

Kein Wunder, daß sich Katia Mann mit allen Kräften dagegen wehrte, ein Buch zu schreiben. Alle, die ihr nah und am nächsten waren, schrieben, schrieben, schrieben. Uneinholbar das nobelpreisprämierte Ehegespons Tommy (Thomas Mann). Weniger be- und geachtet der Schwager (Heinrich Mann). Professionelle Schreiber waren auch Katias Oma und Opa: die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm sowie der Herausgeber/Redakteur des "Kladderadatsch" und "Simplicissimus" Ernst Dohm. Und selbstverständlich schrieb auch Mama, die musische Ex-Schauspielerin Hedwig Pringsheim, geborene Dohm. Verfaßte vor allem launige Briefe und in reiferem Alter ebensolche Feuilletons für "die gute alte Tante Voss" (Vossische Zeitung). Empfänger der Postillen waren nicht nur Gott und die Welt. Der Lieblingskorrespondent der in München lebenden Professoren-Gattin war Maximilian Harden, der in Berlin residierende Kultur-Kunst-Kritiker, der Presse-Politiker und Herausgeber der Zeitschrift "Zukunft".

Das Blatt war das meinungsbildende Leib- und Magenblatt der freisinnigen und freigeistigen Dohm-Tochter. Irgendwann in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte Mutter Hedwig Tochter Hedwig den Meinungsmacher Maximilian Harden vorgestellt. Die Verblüffung der Tochter, gesteht sie Jahrzehnte später, war gelungen. Die Verblüffung sorgte für ein Verliebtsein auf den ersten Blick. Wie sich Hedwig Pringsheim an den sechs Jahre Jüngeren mit leicht frivolen, entschieden erotischen Sätzen ranschmiß, das ist in den an Harden adressierten Briefen der Pringsheim zu lesen. Erstmals publiziert, sind sie unter dem unpassenden, scharf aufs Publikum schielenden Titel "Meine Manns" erschienen.

Die Hauptrolle in dem Band haben die muntere Hausfrau, der "kolossale Kerl" Harden und Hedwigs Kinder. Eine Neben-Hauptrolle hat Kind Katia, das an den "Dichterfürsten" geraten ist, wie Papa Pringsheim zu sagen pflegt, wenn er den Schwiegersohn meint. Und Schwiegermutter Hedwig schreibt dem Harden ohne Scheu und Scham von einem "miesepetrigen Pärchen", wenn sie von den "Tommy's" spricht. Wesentlicher als manche Familienhistörchen ist, was Hedwig Pringsheim dem lieben Harden über die allgemeine Weltlage zu sagen hat. 22 Jahre, von 1900 bis 1922, bleibt die Zuverlässige dem Geachteten und Geehrten eine treue Korrespondentin. Brief um Brief bekennt und bekundet sie "eine ehrliche Bewunderung ... eine ehrliche Freude" für die Artikel des Bewunderten. Es sind nicht simple Schwärmereien, die Pringsheim formulierte. Die geistige Liebe, die die lebenserfahrene und kluge Frau artikuliert, hat ihre Festigkeit in der Geistesverwandtschaft, die Pringsheim und den Publizisten verbindet.

Die Artikel Hardens sind für die Münchnerin aus Berlin ein Lebenselixier, denn sie sind ohne das Narkotikum Heuchelei. In den Sätzen von Harden ist, was Hedwig Pringsheim fühlt, denkt, erhofft: ein anderes Deutschland als das in einem Kokon der Heuchelei eingesponnene deutsche Kaiserreich. Pringsheim ist keine Puppe, die dem Vorredner nur zunickt. Dank ihrer Freisinnigkeit und Freigeistigkeit ist sie souverän genug, um ihr eigenständiges Denken auszudrücken. Ein Denken, das weit über das der Familie, vor allem der "komischen Familie" Mann hinausreicht. Unzweideutig, unmissverständlich schreibt die einsichtige Beobachterin mitten im Ersten Weltkrieg: "Das Reich wackelt, es geht aus den Fugen."

Gut anderthalb Jahre vor dem November 1918 fragt sie Harden: "Bekommen wir Revolution?" Hedwig Pringsheim, die dem Kaiserreich keine Träne nachweinte, sah sich, wenn schon, an der Seite der Revolution. Ihr Geist wird nie vom patriotischen Kriegs-Zeitgeist getrübt. Deshalb sind ihre Brief-Zeilen aus den Kriegsjahren von besonderem Wert. Unbelastet von jedweder Deutschtümelei bewahren sie den Glauben an Humanität und das Vertrauen in die Menschheit. Allen Enttäuschungen, allem Widersinn zum Trotz. Die Brief-Schreiberin ist eine Gescheite, weil sie klug fühlt, was sie erlebt. Hedwig Pringsheim war eine natürliche Begabung des Begreifens eigen. Mit ihrem Berliner Witz, ihrer am Berlinischen geschulten Sprache, wußte sie gut zu unterhalten, zu analysieren, zu informieren. Keiner ihrer Briefe verleitet zum flüchtigen Lesen. So wesentlich die Briefe der Kriegsjahre sind, so bedeutungsvoll sind die Briefe des Jahres 1909.

Es ist das Jahr des Todes von Erik, des problematischen, geliebten, ältesten Sohnes, der fernab in Argentinien starb. Wer die Leidenschaftlichkeit der Hedwig Pringsheim schätzt, wird die Leiden der Frau verstehen, die dem schlimmsten Schicksal ausgesetzt ist, das einer Mutter widerfahren kann. Aus den postalischen Ansprachen an Maximilian Harden spricht ein Mensch, der, voller Vertrauen, auf's Vertrautsein aus ist. Wer als Mensch am Menschen wirklich interessiert ist wird den Briefen von Hedwig Pringsheim mit wirklichen Interesse folgen müssen. Bis zum letzten Punkt! "Ich bin so treu und anhänglich, wo ich einmal empfinde", schreibt die Autorin Maximilian Harden. Die Leser werden treu und anhänglich die Briefe lesen, die so viel für's Empfinden tun.

Bernd Heimberger 
03.10.2006

 
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Das Buch:

Hedwig Pringsheim: Meine Manns. Briefe an Maximilian Harden

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Berlin: Aufbau-Verlag 2006
336 S., € 24,90
ISBN: 3-3510-3075-4

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