Autobiographie

Von ganz unten bis in die zweite Etage

Daniel Keita-Ruel ist keiner der ganz großen Strafraumknipser wie Robert Lewandowski oder Timo Werner, auch macht er seine Buden - noch nicht - in der ersten Bundesliga, doch ist die Geschichte hinter diesem dreißigjährigen Zweitligastürmer bei der SpVgg Greuther Fürth eine sehr bemerkenswerte. Als Jahrgang 1989 durchlief der kleine Daniel in den sozialen Brennpunkten Wuppertals noch die dort typische Kicker-Laufbahn auf der Straße und den Bolzplätzen. Sein besonderes Talent kristallisierte sich dann in Jugendjahren heraus, so dass er schließlich einen Zweijahresvertrag in der A-Jugend von Borussia Mönchengladbach erhielt. Plötzlich schien alles möglich für den Jungen, dessen Familie früh vom senegalesischen Vater verlassen worden war und für den der Weg zu Ruhm und Ehre ausschließlich über den Fußball vorstellbar war.

Doch Daniel Keita-Ruels Leben sollte ob falscher Freunde und noch fatalerer Entscheidungen einen Weg in die untersten Niederungen der Gesellschaft nehmen. Nachdem ihm ein Anschlussvertrag für die Gladbacher Profimannschaft verwehrt blieb und er auch in den unteren Ligen mit Anfang Zwanzig nicht richtig durchstarten konnte, begab er sich immer öfter zu seinem Lieblingsitaliener in Wuppertal. Dort war ein durchtriebener Möchtegern-Mafioso am Start, der für seine dilettantischen Raubüberfälle schnelle Leute suchte und sich langsam Daniels Zutrauen erschlich. Nach insgesamt vier Überfällen auf lokale Geschäfte war dann aber schnell Schicht im Schacht, um Daniels Gelenke klickten die Handschellen. Das Urteil bescherte ihm knapp fünf Jahre hinter Gittern. Dort allerdings setzte ein Läuterungsprozess ein und der Wille, es nach der Haft zurück in den Profifußball zu schaffen, reifte zur Besessenheit. Aus dem Knast wurde schließlich ein Athlet entlassen, der es trotz fortgeschrittenen Alters noch einmal allen zeigen wollte.

"Zweite Chance" heißt die vorliegende Autobiografie Daniel Keita-Ruels, wobei "Auto" an dieser Stelle leicht korrigiert werden muss, denn der Autor und Journalist Harald Braun hat hier die Rolle des Geisterschreibers übernommen. Die für die Erzählung gewählte Ich-Perspektive sorgt allerdings dafür, dass man als Leser ganz nah an den Handlungen und den Missetaten des Protagonisten dran ist. In 22 Kapitel zuzüglich Prolog und Epilog wurden die ersten drei Jahrzehnte im Leben Daniel Keita-Ruels aufgeteilt. Dazwischen kommen immer wieder Wegbegleiter zur Wort, darunter auch prominente Berührungspunkte wie Uli Sude oder Max Eberl, die vor gut zehn Jahren mehr oder weniger eng mit dem Gladbacher Jungfohlen zusammenarbeiteten. Der Tenor aller Stimmen ist nahezu identisch: Lieber, netter Kerl, von dem man nie erwartet hätte, dass er sich in solch eine Situation hineinziehen lässt, aber auch mit Erklärungen, warum es in jungen Jahren noch nicht mit einer Profikarriere klappen konnte.

Heute kickt Keita-Ruel vor zigtausend Fans in Zweitliga-Stadien, und dies auch recht erfolgreich. In der laufenden und der zurückliegenden Spielzeit hat er in insgesamt 51 Spielen stattliche 16 Tore geknipst, auch in seiner ersten Profi-Station zuvor bei Fortuna Köln in der dritten Liga war er mit 15 Saisontoren ganz weit vorne in der ligaweiten Torjägerliste zu finden. Man ertappt sich beim Lesen dabei, dass man es einem so geläuterten Menschen von Herzen gönnt, dass er seine zweite Chance nutzt. Wer weiß schließlich, wohin der Weg von Daniel Keita-Ruel noch führen kann? Natürlich ist man mit dreißig Lenzen schon im Herbst seiner Karriere angekommen, doch bestätigen alle aktuellen Wegbegleiter unisono, dass das biologische Alter Daniels nicht mit anderen Profis verglichen werden kann, hat sein Körper doch während der mittleren Twen-Jahre nicht unter den ständigen Spielen und Wettkämpfen gelitten. Keita-Ruel kommt als Muster-Athlet daher, dem durchaus noch einige gute Jahre zuzutrauen sind.

Der Protagonist findet in seiner Rückschau durchaus glaubwürdige und offene Worte zu seinen Verfehlungen, richtet auch entschuldigend das Wort an seine Opfer, die bei den Überfällen gelitten und womöglich lebenslange Traumata davongetragen haben. Doch lohnt sich zusätzlich der Blick ins Internet, wo sich die mutmaßlich neutrale Berichterstattung aus den Zehner Jahren archiviert findet. So meint man dort auch einige Erklärungen zu finden, warum die von Keita-Ruel als Gängelung empfundenen Maßnahmen der Staatsanwaltschaft durchaus berechtigt waren. Dennoch bleibt am Ende des Tages ein positives Bild eines Menschen, der sich durch die untersten Niederungen der Gesellschaft gekämpft und seinem Leben eine höchst positive Wendung gegeben hat. Daniel Keita-Ruel ist wahrlich ein Paradebeispiel für eine der leider nur sehr wenigen wirklich gelungenen Resozialisierungen von Straftätern. Man wünscht ihm nicht nur weiteren Erfolg auf dem grünen Rasen, sondern auch sehr viel Gehör, wenn er seine Geschichte denjenigen erzählt, denen diese Vita eine Warnung sein sollte.

Christoph Mahnel 
02.03.2020

 
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Das Buch:

Daniel Keita-Ruel: Zweite Chance. Mein Weg aus dem Gefängnis in den Profifußball

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2020 232 S., € 16,00 ISBN: 978-3-462-05362-3

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