Medien & Gesellschaft
"Game of Thrones" - seziert
Dieser Tage gibt es wohl kaum eine Serie, über die mehr diskutiert wird als "Game of Thrones". Die Erfolgsserie des amerikanischen Fernsehsender HBO wurde bereits in sechs Staffeln ausgestrahlt, weitere sind in Arbeit und werden von der Fangemeinde schon jetzt begierig erwartet. Die Fernsehserie basiert auf den Büchern von George R. R. Martin, seinem mehrbändigen Epos "Das Lied von Eis und Feuer". Dafür hat der US-amerikanische Schriftsteller eine eigene Welt erschaffen, die mächtiger als alles bisher Dagewesene daherkommt, selbst Vergleiche mit J. R. R. Tolkiens Mittelerde prallen daran förmlich ab. Die sieben Königreiche von Westeros sind der farbenfrohe Schauplatz von "Game of Thrones" und den Büchern Martins. Und ganz im Norden des Kontinents wartet schließlich noch die von der Nachtwache observierte Mauer, hinter der ewiges Eis und Wildlinge warten.
Wie schon einst bei Tolkiens Fantasiewelt fragen sich nun auch die Fans von George R. R. Martins Geschichten, wie der Autor denn dieses ausgeklügelte Universum ersonnen hat und welche realen Szenerien ihn bei dessen Erschaffung motivierten. Dieses hat mittlerweile sogar das Interesse in wissenschaftlichen Kreisen geweckt. Carolyne Larrington ist Literaturwissenschaftlerin an einem College in Oxford, das Mittelalter ist ihr Spezialgebiet. "Winter is coming" lautet der Titel ihres kürzlich erschienenen Buches, in dem sie ihre Theorien preisgibt, welche realen Hintergründe aus dem Mittelalter in "Game of Thrones" und bei der Schaffung der Welt von Westeros verarbeitet wurden.
Für das Studium des vorliegenden Buches wird eine präzise Kenntnis der Fernsehserie, besser sogar noch der Buchvorlage, zwingend vorausgesetzt, um die Gedankengänge der Autorin angemessen nachvollziehen zu können. Insbesondere sollte man sehr firm sein, was die Kenntnis der Namen von Personen und Gegenden betrifft, da diese zuhauf genannt werden, ohne explizit eingeführt oder näher erläutert zu werden. Um der potentiellen Gefahr zu begegnen, den Leser mit einem "Spoiler" zu verärgern, diesem also wichtige Handlungselemente zu verraten, sind im Buch sämtliche möglichen Spoiler am Rand der jeweiligen Seiten mit dem Symbol einer Krähe vermerkt. Larrington hat ihre Ausführungen in "Winter is coming" nach den geographischen Gegebenheiten von Westeros strukturiert. In den fünf zentralen Kapiteln ihrer Ausführungen arbeitet sie sich vom Herzen des Landes, über den Norden, den Westen und den Osten bis zur Gegend jenseits der Meerenge voran.
Als Leser mit einem gewissen nüchternen Abstand zur phantastischen Welt George R. R. Martins ist man überrascht, wie eine renommierte Literaturwissenschaftlerin derart enthusiastisch Parallelen zur historischen Realität zieht. Dennoch kommt man nicht umhin zu konstatieren, dass Larrington glaubhaft und nachvollziehbar Begründungen für ihre Thesen ins Feld führt und durchaus plausible Schlüsse zieht, auch wenn sie dabei von Zwergen, Riesen oder Drachen parliert. Nun gut, Letztere sind eben auch ein zentraler Bestandteil in der Geschichte von "Game of Thrones". Was ebenfalls überraschend daherkommt, ist der Verlagsname, der auf dem Cover des Buches prangt. Schließlich kennt der geneigte Leser den Theiss Verlag, zugehörig zur Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, für gewöhnlich als einen etablierten Verlag für wissenschaftliche Themen, sehr häufig auch für seriöse Geschichtsthemen. Dies lässt sich jedoch auch als Indiz dafür werten, wie weit "Game of Thrones" mittlerweile in der Gesellschaft und im allgemeinen Interesse angekommen ist und wie salonfähig es geworden ist, so dass sich sogar Wissenschaftler ernsthaft mit der Analyse und Interpretation der zugrundeliegenden Phantasiewelt beschäftigen.
"Winter is coming" ist als Sekundärliteratur von "Game of Thrones" für die Fans von George R. R. Martins Epos eine wahre Fundgrube an Überlegungen, die Carolyne Larrington anstellt, wenn sie ihre Parallelen zur mittelalterlichen Geschichte zieht. Doch damit nicht genug, gibt die Autorin am Ende ihrer Ausführungen noch zahlreiche Anregungen und Tipps für weiterführende Literatur, mit deren Hilfe der interessierte Leser seinen Wissensdurst stillen kann. Wer sich jedoch von den kommenden Staffeln von "Game of Thrones" lediglich berieseln lassen möchte, wird mit dem vorliegenden Buch womöglich erschlagen und sich völlig verblüfft fragen, wie eine zwar gut gemachte, aber doch ganz und gar fiktive Geschichte derart seziert werden kann.
Christoph Mahnel
07.11.2016