Medien & Gesellschaft
Fades Turnier , exquisites Buch
Alle vier Jahre, stets genau mittig platziert zwischen zwei Weltmeisterschaften, treffen sich Europas beste Fußball-Nationalmannschaften, um ihren kontinentalen Titelträger zu ermitteln. Die Fußball-Europameisterschaft war einst in den Sechziger und Siebziger Jahren noch ein zartes Pflänzlein, bevor peu à peu der Turnier-Charakter durch eine sukzessive Aufstockung des Teilnehmerfelds angehoben wurde. Nachdem zunächst vier Mannschaften quasi in einem "Final Four" den Europameister ermittelt hatten, erschien lange Zeit ein Modus mit zunächst acht Mannschaften und schließlich mit sechzehn Mannschaften als angemessen, um in einem qualitativ äußerst hochwertigen Feld Europas Könige zu küren. Für das diesjährige Turnier in Frankreich, die EURO 2016, waren größtenteils sich nicht mehr in Amt und Würden befindende UEFA-Funktionäre auf die glorreiche Idee verfallen, gleich halb Europa zum Turnier zuzulassen und mit 24 Mannschaften ein extrem aufgeblähtes Feld an den Start zu bringen.
Die EURO 2016 war im Vorfeld nicht nur ob des erweiterten Teilnehmerfelds mit viel Skepsis erwartet worden, sondern auch die Terrorbedrohung und das daraus erwachsene und omnipräsente Sicherheitsaufgebot wirkten einschüchternd. Abgesehen von diversen Übergriffen ewig gestriger Hooligans kam das Turnier diesbezüglich glimpflich davon. Sportlich gesehen ließ die Fußball-Europameisterschaft aber leider zu wünschen übrig, der erwähnte Turniermodus mit 24 Mannschaften förderte einen extrem defensiven und abwartenden Fußball, insbesondere bei den vielen spielerisch limitierten Teams. Selbst die K.o.-Phase läutete keinen Wandel ein, viele Spiele blieben erschreckend schwach und unspektakulär. So war es letztlich keine Überraschung, dass sich ein Außenseiter mit mittelprächtigen Leistungen bis ins Finale durchmogelte und sich dort mit dem Glück des Tüchtigen den Titel sicherte.
Da aus deutscher Sicht das unglückliche Halbfinal-Aus gegen den Gastgeber als fahrlässig ausgelassene Titelchance unter dem Strich übrig blieb, ist es wahrlich eine höchst undankbare Aufgabe, hierzulande ein Buch zum Turnier herauszubringen. Schließlich hatten sich in Deutschland die Fans direkt nach dem letzten Schlusspfiff abgewandt und dem Turnier keine Träne mehr nachgeweint. Doch Ulrich Kühne-Hellmessen und Detlef Vetten zogen ihr geplantes Projekt durch und brachten gerade einmal fünf Tage nach dem Finale das vorliegende Buch "EURO 2016 - Das Turnier" auf den Markt. Klar, das Duo mit Kühne-Hellmessen als Herausgeber und Vetten als Autor ist eingespielt und bringt nicht zum ersten Mal ein Buch zu einem sportlichen Großereignis heraus, doch dieses Mal ist ihnen ein wirklicher Volltreffer gelungen. Nachdem man in einigen ihrer Bücher in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle merken konnte, dass mit einer sehr heißen Nadel daran gestrickt worden war, erscheint das vorliegende Buch wie aus einem Guss.
Kühne-Hellmessen und Vetten finden eine hervorragende Balance zwischen Bildern und Texten, so dass ihr Buch weder als Bildband noch als detaillierte Nacherzählung rüberkommt. Den sechs Vorrundengruppen widmen sie beispielsweise jeweils komprimierte Texte über vier Seiten bzw. acht Seiten für die deutsche Gruppe. Erst ab dem Achtelfinale erhält jedes Spiel einen dedizierten Abschnitt, grundsätzlich sind die Texte recht erfrischend und salopp verfasst, so dass das vorliegende Buch keineswegs mehr die Strenge eines WM-Buchs von Ernst Huberty oder Harry Valérien hat. Dazwischen finden sich verschiedene Stories über das eine oder andere Randthema, beispielsweise die erwähnte Sicherheitslage während des Turniers oder das Euro-Gefühl, zumal die wenig europäische Entscheidung des britischen Brexit just in die Zeit dieses Events fiel. Einen runden Abschluss erhält das Buch durch den ausführlichen Statistikteil, in dem unter anderem sämtliche EM-Kader Deutschlands aufgeführt sind.
"EURO 2016 - Das Turnier" hat vor allem dank seiner hochwertigen Bebilderung einige richtige Hingucker. In Sachen Sportfotografie setzt dieses Buch neue Standards. Als Leser hat man beim Durchblättern das Gefühl, dass Sportbücher genau so gestaltet sein sollten. Herausgeber und Autor haben das Turnier und dessen Verlauf mutmaßlich mit Schrecken verfolgt, doch sind sie mit ihrer Aufgabe über sich hinaus gewachsen und haben ein Buch veröffentlicht, das zweifelsohne Titelniveau hat. Hätten die EM-Spiele auf einem ähnlichen Level stattgefunden, es wäre von einem Feuerwerk in den französischen Stadien die Rede gewesen. Wer also seinen Bücherschrank nach allen großen Turnieren konsequent mit einem Buch dazu füllt, kommt für die diesjährige Europameisterschaft an diesem Werk nicht vorbei.
Christoph Mahnel
08.08.2016