Medien & Gesellschaft

"Sie sind am Berg!"

Jedes Jahr im Juli blicken sportbegeisterte Augen nach Frankreich, denn dort fasziniert die Tour de France die Massen. Seit 1903 rollt sie bei wechselnder Streckenführung durch das Land von Wein und Käse. Doch bevor sich die Helden der Landstraße mit der Zielankunft auf den Champs-Élysées in der französischen Hauptstadt für ihre Mühen belohnen dürfen, haben die Götter den Schweiß gesetzt bzw. die Planer der großen Schleife menschenunwürdige Etappen durchs Hochgebirge. Mit den Pyrenäen und den Alpen warten die beiden größten europäischen Gebirge auf die Fahrer des Tour-Tross. Ohne Zweifel stellen die Bergankünfte die Highlights der Frankreich-Rundfahrt dar, denn dort wurden auf wenigen Kilometern schon große Sieger geboren, aber auch viele große Träume verloren gegeben.

L'Alpe d'Huez, Col du Tourmalet oder Col d'Aubisque, diese Namen sind Musik in den Ohren von Radsportfans. Jahr für Jahr pilgern Hundertausende von Fans an die schmalen Gebirgsstraßen, um ihre Helden anzufeuern. Man sieht die Menschenmassen förmlich vor sich, wie sie lediglich einen schmalen Durchlass gewähren, durch den gerade einmal ein einziger Fahrer passt, der den Berg auf der Welle der Begeisterung förmlich hinaufgetragen wird. Der britische Radsportexperte Richard Abraham hat zwanzig solcher Kultstätten der Tour de France nun ein eigenes Buch gewidmet, mit dem selbstredenden Titel "Tour de France -20 legendäre Anstiege". Der Göttinger Werkstatt Verlag, vor allem bekannt für sein exzellentes Portfolio an Fußball-Büchern, hat für die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung Sorge getragen.

Das vorliegende Buch zögert nur kurz, um in medias res zu gehen. In Form einer kurzen Einleitung wird die mittlerweile weit über 100 Jahre lange Historie der Tour de France in Bezug auf Bergetappen auf einigen wenigen Seiten abgehandelt. Anschließend wird der Blick gen Alpen gerichtet, wo gleich die Hälfte der zwanzig Bergklassiker angesiedelt ist. Neben dem eingangs erwähnten L'Alpe d'Huez, bei dem man zwangsläufig Rudi Altig sein "Sie sind am Berg!" rufen hört, haben sicherlich der Col du Galibier sowie der Col de la Madelaine den größten Bekanntheitsgrad. Reist man sodann Richtung französisch-spanischer Grenze, trifft man gemäß der Einordnung des Autors auf sieben weitere legendäre Berganstiege in den Pyrenäen. Die drei übrigen verteilen sich paritätisch auf die Vogesen, das Zentralmassiv und die Provence. Bei letzterem handelt es sich mit dem Mont Ventoux um eine weitere Kultstätte der Tour de France, die ihren Ruf allerdings mit einem höchst unschönen Ereignis verknüpft: 1967 starb dort beim Anstieg mit dem Briten Tom Simpson, der, wie später nachgewiesen wurde, bis oben hin mit Aufputschmitteln vollgepumpt war, der erste Sportler bei der Tour de France.

Der Aufbau der einzelnen Kapitel zu den Bergklassikern folgt durchweg der gleichen Vierteilung: Zuerst wird auf einer Doppelseite der Mythos des jeweiligen Anstiegs beschworen, hernach folgt die mit Google Earth gestaltete Satellitenansicht des Straßenverlaufs, bevor die textuelle Beschreibung für den "Weg zum Gipfel" nachgeliefert wird. Am Ende wird schließlich ein Blick in die Geschichtsbücher und auf diejenigen Legenden im Sattel geworfen, die sich einstmals auf jener Bergetappe unsterblich gemacht haben. Das Highlight stellt dabei die sehr gut illustrierende Landkarte dar, die mit vielen Zahlen wie Kilometer- und Höhenangaben angereichert ist und ein Höhenprofil mitliefert, das jedem Normalsterblichen quasi die Unmöglichkeit dieses Anstiegs verdeutlicht.

"Tour de France - 20 legendäre Anstiege" überrascht den Leser zunächst einmal mit einer haptischen Besonderheit, da es im Format eines gekippten DIN A4 daherkommt. Beim Aufklappen auf einer der Seiten mit einer Landkarte zeigt sich dann, warum diese Wahl getroffen wurde. Das panoramaartige Format erlaubt die Abbildung der Satellitenaufnahmen auf einer einzigen Doppelseite. Für die heimischen Tour-de-France-Fans liefert das vorliegende Buch die perfekte Einstimmung auf die nächste Austragung der großen Rundfahrt und sehr hilfreiches Begleitmaterial für die anstehenden Bergetappen, sofern denn die vorgestellten Bergklassiker im kommenden Juli tatsächlich auf dem diesjährigen Etappenplan ihre Berücksichtigung gefunden haben. Eventuell wird sich sogar der eine oder andere Velozipedist durch das Buch herausgefordert fühlen und doch einmal eine der großen Bergankünfte selbst in Angriff nehmen.

Christoph Mahnel
23.05.2016

 
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Das Buch:

Richard Abraham: Tour de France - 20 legendäre Anstiege

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2016
224 S., € 34,90
ISBN 978-3-730-70259-8

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