Medien & Gesellschaft

Kalter Krieg mal ganz anders

"Schnief da di schneuf", das musikalische Thema aus "Doktor Schiwago", der großartigen Romanverfilmung mit Omar Sharif und Julie Christie in den Hauptrollen, bewegte nicht nur Dieter Hallervorden und unzählige Autofahrer, als sich in einem Sketch alle auf einer verstopften Straßenkreuzung an der Melodie zum Film versuchten. Das Epos aus dem Jahre 1965 heimste seinerzeit fünf Oscars ein und gilt zweifelsohne als eine der wunderbarsten Produktionen in der Filmgeschichte. Doch ist die Geschichte hinter dem Film, nämlich die des Buches eine ungleich dramatischere. Der russische Lyriker Boris Pasternak hatte knapp zehn Jahre an diesem Roman geschrieben, der übrigens der einzige seiner gesamten Bibliografie bleiben sollte.

Boris Pasternak war im Jahre 1890 noch zur Zeit der russischen Zaren geboren worden und durchlebte in der Folgezeit die dramatischen und intensiven Jahre der Veränderung mit: zunächst 1917 die Oktoberrevolution und später die Säuberungswellen unter Josef Stalin. Pasternak war als Dichter ein in der Sowjetunion anerkannter Künstler, doch als er mit seinem Lebenswerk "Doktor Schiwago" die Probleme beschrieb, die ein Individuum, ein intellektueller Mensch mit dem in der Sowjetunion herrschenden kommunistischen Regime haben kann, war Pasternak, der im Gegensatz zu vielen Kollegen Stalins Säuberungen überlebt hatte, von einem zum anderen Tag zur "persona non grata" geworden. Mit der einhergehenden Weigerung, "Doktor Schiwago" in der Sowjetunion zu publizieren, geriet die Spirale der Ereignisse jedoch erst so richtig in Gang.

Pasternak übergab im Jahre 1956 sein in der Heimat verschmähtes Manuskript dem Agenten eines italienischen Verlegers, um sein Werk im westlichen Europa veröffentlicht zu sehen. Die Konsequenzen, die Pasternak und seine Familie sowie nahestehende Menschen hernach in Kauf nehmen mussten, waren drastisch. Die Karriere des Boris Pasternak war gleichsam beendet, es stand sogar eine Ausweisung aus der Sowjetunion zur Diskussion. In der westlichen Welt begannen sich von nun an die Geheimdienste, für dieses antikommunistische Werk eines Sowjetschriftstellers zu interessieren. Insbesondere die Amerikaner wollten "Doktor Schiwago" im Rahmen ihrer Kriegsführung auf der intellektuellen Ebene des Kalten Krieges zu Nutze machen. So ließ der CIA eine russischsprachige Ausgabe erstellen, druckte mehrere tausend Exemplare und verteilte sie auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel, bevorzugt an sowjetische Staatsbürger.

Peter Finn, ein amerikanischer Journalist, und Petra Couvée, eine holländische Dozentin an der Universität von Sankt Petersburg, haben sich auf eine Spurensuche zur Entstehungs- und vor allem zur Verbreitungsgeschichte von "Doktor Schiwago" begeben. Die fünf letzten Lebensjahre Pasternaks nach Vollendung seines Romans - er starb 1960 im Alter von siebzig Jahren - waren dramatisch und verliefen im Zentrum des Kalten Krieges, der Ende der Fünfziger Jahre einen ersten Höhepunkt erreichen sollte. Erst vor wenigen Jahren bestätigten sich tatsächlich die Gerüchte und Ahnungen um eine höchst aktive Rolle des CIA bei der Verbreitung von "Doktor Schiwago", wie auch die von dort aus forcierten Bemühungen, Boris Pasternak mit dem Literatur-Nobelpreis zu ehren. Die Verkündigung der Schwedischen Akademie, den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1958 Boris Pasternak zuteilwerden zu lassen, sorgte bei diesem zunächst auch für große Begeisterung. Nachdem jedoch die Repressalien ihm und seinen Liebsten gegenüber weiter erhöht wurden, verzichtete Pasternak gezwungenermaßen auf die Entgegennahme des Preises.

"Die Affäre Schiwago" aus der Feder von Peter Finn und Petra Couvée bietet neben der Lebensgeschichte eines der größten russischen Schriftsteller vor allem als zeitgeschichtliches Dokument aus dem 20. Jahrhundert spannende Unterhaltung. Wie die verschiedenen Parteien des Kalten Krieges versuchten, einen Roman als Waffe subtil und gewinnbringend einzusetzen, zeigt, in welcher Anspannung sich die Welt vor fünfzig, sechzig Jahren befand. Die Recherchen der beiden Autoren werden höchsten Ansprüchen gerecht und sind sehr präzise und weitläufig. Letzteres macht das Lesen von "Die Affäre Schiwago" zu keiner einfachen Aufgabe, doch lohnt sich das Investment von Zeit und Aufmerksamkeit. So hat der Leser am Ende eine bis dato weitgehend unbekannte, aber höchst dramatische Facette der Nachkriegszeit durchlebt und ganz nebenbei Appetit bekommen, sich die grandiose, über dreistündige Verfilmung von David Lean zum dritten, vierten oder fünften Mal zu Gemüte zu führen oder sogar den Stein des gesamten Anstoßes, den über siebenhundert Seiten starken Roman Pasternaks, der übrigens offiziell erstmals 1987 im russischen Original erschienen ist.

Christoph Mahnel
29.03.2016

 
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Das Buch:

Peter Finn, Petra Couvée: Die Affäre Schiwago: Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes Buch. Übersetzt von Jutta Orth und Jörn Pinnow

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Darmstadt: Theiss Verlag 2016
400 S., € 29,95
ISBN: 978-3-806-23263-9

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