Medien & Gesellschaft

Im Land der Kims

Gäbe es eine Wahl zum skurrilsten und kuriosesten Land auf dem Planeten Erde, dann würde wohl mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Demokratische Volksrepublik Korea, besser bekannt als Nordkorea, das Rennen machen. Die nördlich des 38. Breitengrades gelegene Hälfte der koreanischen Halbinsel hatte im Jahre 1948 ihre Unabhängigkeit erlangt und wird seitdem ununterbrochen durch die Familie Kim regiert. Alles begann mit dem Großen Führer Kim Il-Sung, der das Land bis zu seinem Tode 1994 regierte. Sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-Il übernahm und steht im westlichen Ausland federführend und sinnbildlich für die kuriosen und skurrilen Gebärden der nordkoreanischen Herrscherfamilie. Sein plötzlicher Tod im Dezember 2011 brachte wiederum seinen Sohn, den bis dato nahezu kaum in Erscheinung getretenen Kim Jong-un an die vorderste Front des Landes.

In der westlichen Welt beruhen die Informationen über Nordkorea, seien es die Strukturen in Partei und Militär oder die Beweggründe und Absichten der Diktatorenfamilie, weitgehend auf Spekulationen. Es gibt nur sehr wenig Material, das als gesichert hingenommen werden kann. In den meisten Fällen ist die Quellenlage sehr dünn und Informationen stammen vorwiegend von den wenigen Überläufern, denen es gelungen ist, aus Nordkorea zu fliehen. Liest man in den einschlägigen Medien Berichte über Nordkorea und die Kim-Familie, dann wird sehr oft der Konjunktiv bemüht und Mutmaßungen ersetzen Fakten. So gibt es beispielsweise zur Vita des aktuellen Diktators Kim Jong-un keine gesicherten Erkenntnisse bezüglich des Geburtsjahrs oder seiner Ausbildung. Bei seiner Amtsübernahme mehrten sich Gerüchte, dass er in seiner Jugend ein Schweizer Internat besucht habe. Doch nichts Genaues weiß man nicht.

In dieser nebulösen Gemengelage ist das Wissen eines deutschen Nordkorea-Experten Gold wert. Rüdiger Frank, geboren 1969 in Leipzig, setzte im Oktober 1991 erstmals einen Fuß auf nordkoreanischen Boden. Als Student verbrachte er ein Auslandssemester an der Kim-il-Sung-Universität in Pjöngjang. Später promovierte und habilitierte er und hat heute seinen Stammsitz an der Universität in Wien. Als Experte für Ostasien und Ökonomie hat er in den Folgejahren Nordkorea viele Besuche abgestattet und war dort auch als Vortragender mit nordkoreanischen Wissenschaftlern in Kontakt getreten. Kurzum, es gibt im deutschsprachigen Raum keinen größeren Nordkorea-Experten als Rüdiger Frank, der sein Wissen nun in dem vorliegenden Kompendium zusammengetragen und veröffentlich hat.

"Nordkorea - Innenansichten eines totalen Staates" ist ein Buch, das mit einer Faktenfülle über Nordkorea besticht, die seinesgleichen sucht. Darin vermeidet Frank es allerdings sehr bewusst, die anti-nordkoreanische Stimmung zu schüren, indem er auf kuriose Anekdoten aus der Führungselite weitgehend verzichtet. Stattdessen ist Frank an einer objektiven Darstellung des Landes interessiert. Beginnend mit der Historie Koreas, der japanischen Besatzung, der Teilung in Nord und Süd sowie den Folgen des Koreakriegs schafft er die Grundlage für das Verständnis zweier Nationen, die für einige, aus hiesiger Perspektive merkwürdig erscheinende Handlungen durchaus Erklärungen liefert.

In den Folgekapiteln setzt er sich mit den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Ideologien Nordkoreas auseinander und analysiert die in den vergangenen Jahrzehnten beabsichtigten und umgesetzten Maßnahmen. Dabei wird durchaus deutlich, dass die nordkoreanische Führung oftmals in guter Absicht handelte, bislang jedoch offensichtlich dabei scheiterte, ihr Land wirtschaftlich auf die Beine zu bekommen. Frank widmet sich sehr ausführlich den ins Leben gerufenen Wirtschaftssonderzonen und den aktuellen Chancen Nordkoreas, die sich durch den Machtwechsel zum deutlich transparenter und volksnaher agierenden Kim Jong-un ergeben haben. Abschließend beurteilt er die Aussichten des geteilten Koreas, wieder zusammenfinden zu können, und weist dabei auf die nicht unerhebliche Bedeutung daran maßgeblich beteiligter Länder wie Japan, China, Russland und der USA hin.

Rüdiger Frank ist über seine im Laufe der Jahre erworbene Expertise hinaus auch qua Herkunft prädestiniert dafür, die "Black Box" Nordkorea zu enthüllen. Aufgewachsen in der DDR und der Sowjetunion hat er Sozialismus und Kommunismus in seiner Kindheit und Jugend hautnah erleben dürfen, um die Gebilde an der Schwelle zum Erwachsenwerden zusammenbrechen zu sehen. Diese Erfahrung lässt er im vorliegenden Buch immer wieder geschickt einfließen. "Nordkorea" ist, und darauf sei an dieser Stelle explizit hingewiesen, weder eine Sammlung von nordkoreanischen Kuriositäten, die findet der geneigte Leser eher bei SPIEGEL Online, noch ein Reisebericht über die Schönheiten eines unbekannten Landes, dazu möge man besser das Portfolio von National Geographic bemühen. Rüdiger Frank hat stattdessen ein zum gegenwärtigen Zeitpunkt einzigartigen und hochfundierten Einblick in ein Land gegeben, perfekt geeignet für den politisch und wirtschaftlich interessierten Leser, der nach Informationen mit Tiefgang über ein unbekanntes Land lechzt.

Christoph Mahnel
13.10.2014

 
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Das Buch:

Rüdiger Frank: Nordkorea

München: Deutsche Verlags-Anstalt 2014
432 S., € 19,99
ISBN: 978-3-421-04641-3

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