Medien & Gesellschaft
Ein Vier-Sterne-Rückblick auf den vierten Stern
Selbst mit dem Abstand von mehreren Tagen fühlt man sich als deutscher Fußballfan immer noch völlig euphorisch und siegestrunken von den faszinierenden Wochen der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, die mit dem Triumph der deutschen Nationalmannschaft im Finale von Rio zu Ende gegangen waren. Nach der 7:1-Gala gegen die Gastgeber im Halbfinale bedurfte es im Finale gegen die Argentinier noch eines Kraftakts über 120 Minuten und eines Zaubertors von Mario Götze, um den DFB-Kickern den vierten Stern ans Revers heften zu können.
Nachdem die Fernsehsender den nach bewegten Bildern lechzenden Fußballfan an den ersten zwei Tagen nach dem Finale noch mit einigen Sondersendungen hatten zufrieden stellen können, richtete sich der Blick in den Tagen danach bereits auf den Buchhandel in Erwartung der ersten Bücher zur WM, um nicht einer ausgewachsenen Post-WM-Depression zu verfallen. Wer sich dabei einen Platz in den Regalen der Fußballfans sichern möchte, muss vor allem schnell sein und mit einer guten Optik daherkommen. Beide Kriterien erfüllt das eingespielte Duo Ulrich Kühne-Hellmessen als Herausgeber und Detlef Vetten als Autor mit seinem WM-Rückblick "Der Triumph von Rio", den der Leser bereits fünf Tage nach dem WM-Finale in Händen halten konnte. Schneller geht nun wirklich nicht!
Dank der Zusammenarbeit mit der dpa-Fotoagentur kommt das vorliegende Werk auch optisch sehr gut rüber. Zwischen den in brasilianischem Gelb gehaltenen Buchdeckeln erlauben die gestochen scharfen Fotos dem Leser ein gedankenverlorenes Abtauchen in die zurückliegenden 32 Tage des begeisternden Fußball-Marathons. Kühne-Hellmessen und Vetten verzichten bewusst auf eine chronologische Abarbeitung und Berichterstattung eines jeden einzelnen Spiels. Stattdessen überzeugen sie vor allem mit ihren gelungenen Einwürfen zwischen den verschiedenen Turnier-Phasen.
Natürlich widmen sie sich den Vorrundengruppen, indem pro Gruppe eine übergreifende Zusammenfassung des Geschehens in einem Umfang von zwei Doppelseiten erfolgt. Lediglich die deutsche Vorrundengruppe wird ein wenig ausführlicher behandelt. Explizite und ausführliche Spielberichte werden erst ab dem Viertelfinale zum Besten gegeben. Zwischendrin erfolgt mehrmals ein Schwenk auf Aspekte rund um das globale Turnier. Man geht der Bedeutung des Fußballs in Brasilien nach, insbesondere in diesen Tagen der sozialen Missstände im größten Land Südamerikas. Es erfolgt ein Blick auf die logistische Meisterleistung hinter dem ganzen DFB-Tross, auf ein 22-Millionen-Euro-Projekt. Das Mysterium Elfmeterschießen wird historisch und aktuell analysiert, und natürlich erfährt Joachim Löw eine gesonderte Betrachtung. Ehre, wem Ehre gebührt!
Bei aller Euphorie, die dieses Buch dank seiner wohl überlegten Zusammenstellung beim Fußballfreund entfacht, müssen leider einige unübersehbare Schwächen beim Namen genannt werden. Wer beispielsweise die Nachspielzeit des zweiten Halbfinals zwischen Argentinien und Holland noch vor dem geistigen Auge hat und Arjen Robben mit seinem brandgefährlichen Torschuss in allerletzter Sekunden scheitern sieht, weil Argentiniens Mittelfeldstratege Javier Mascherano den Bayern-Stürmer noch abgrätschen konnte, der wird verwundert den Kopf schütteln, wenn er im vorliegenden Buch in einer Bildunterschrift liest, wie Sergio Romero, der Torhüter der Argentinier, angeblich den Schuss von Robben abblockt. An anderer Stelle wird Honduras kurzerhand nach Südamerika verlegt, Brasiliens David Luiz und Costa Ricas Bryan Ruiz werden an verschiedenen Stellen beide jeweils als David Ruiz bezeichnet. Ärgerlich, denn die Liste ließe sich noch fortsetzen!
Kühne-Hellmessen und Vetten sind in der Vergangenheit schon mehrfach als Tandem für die Rückblicke zu großen Sportereignissen aufgetreten. In der breiten Palette der kurz nach dem Ende solcher Events erscheinenden Bücher sind die beiden aufgrund ihrer Herangehensweise und ihrer sehr eindringlichen Dokumentation von Emotionen grundsätzlich prädestiniert dafür, die Pole Position einzunehmen. Doch kann aufgrund der vielen Nachlässigkeiten im Detail für das vorliegende Buch zum vierten Stern leider nur eine Vier-Sterne-Bewertung erfolgen. Für den fünften Stern in einigen Jahren sollte dann aber bei besserer Erledigung der Hausaufgaben auf jeden Fall eine Fünf-Sterne-Leistung drin sein!
Christoph Mahnel
04.08.2014