Medien & Gesellschaft

An den Kreuzungen der Geschichte

Im alltäglichen Leben ist es die Lieblingsfrage aller Hinterhertrauernden: "Was wäre wenn?" Dieses für gewöhnlich wenig nutzbringende Nachkarten besetzt in der Geschichtswissenschaft eine zwar kontrovers diskutierte, aber doch tolerierte Nische. Die kontrafaktische Geschichte oder Uchronie spekuliert darüber, welchen Lauf die Geschichte hätte nehmen können, wenn bestimmte historische Schlüsselereignisse nicht wie geschehen eingetreten wären, sondern eben anders verlaufen wären. Da die Skizzierung des alternativen Geschichtsverlaufs folglich nicht auf Tatsachen und Quellen basiert, sondern lediglich auf Abschätzungen, wie alle weiteren Abfolgen höchstwahrscheinlich aufgrund der Gegebenheiten vonstatten gegangen wären, ist die Zahl der Skeptiker unter den Historikern groß.

Diese Einwände stören Hans-Peter von Peschke keineswegs. Der in der Schweiz lebende deutsche Historiker und Journalist hatte es bereits während seines Geschichtsstudiums in Erlangen genossen, Gedankenexperimente hinsichtlich der Scheidepunkte in der Geschichte vorzunehmen. Trotz der wenig wissenschaftlichen Note dieser fiktiven Spielchen hat es von Peschke stets Spaß bereitet, diese Überlegungen anzustellen und auszuschmücken. Vor allem aber bietet die alternative Geschichte sehr gute Unterhaltung, worüber sich der Geschichtsfreund im vorliegenden Buch mit dem naheliegenden Titel "Was wäre wenn" am besten selbst überzeugen sollte.

Von Peschke hat seine geschichtlichen Gedankenexperimente in neun thematisch zusammengehörige Kapitel gefasst. Gleich im ersten Kapitel begibt er sich mit der Zeitmaschine ins Jahr 44 v. Chr., das Kalenderblatt zeigt die Iden des März. Jedem ist klar, welches maßgebliche geschichtliche Ereignis der Autor ungeschehen machen möchte: Die Ermordung Caesars findet nicht statt! Bedenkt man die Risiken, die dieses Unterfangen der Verschwörer mit sich brachte, war es gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Geschichte diese Richtung hätte einschlagen können. Welchen Weg das Römische Reich laut Hans-Peter von Peschke nach Caesars Nicht-Tod im Jahre 44 v. Chr. einschlug, sei an dieser Stelle nicht verraten. Hier wird eindringlich auf ein eigenes Studium dieses lesenswerten Buches verwiesen!

Der Autor wandelt nach und nach durch die Jahrhunderte, widmet sich Martin Luther, Friedrich dem Großen, dem Sturm auf die Bastille, Napoleon, König Ludwig II. sowie vielen anderen und lässt dabei seiner Fantasie freien Lauf. Angekommen in der Neuzeit spekuliert von Peschke über die Ereignisse des Ersten Weltkriegs, der roten Revolution in Russland und des Zweiten Weltkriegs. Die Zeitgeschichte versucht er vehement zu beeinflussen, indem er - wieder einmal - ein Attentat scheitern lässt, dieses Mal jenes von Dallas, dem John F. Kennedy zum Opfer fiel. Einem anderen Politiker, der hierzulande viel Respekt genießt, spielt der Autor übel mit. Ein Putsch im August 1991 gegen Michail Gorbatschow war erfolgreich verlaufen, so dass der Wegbereiter der Deutschen Einheit ins Exil flüchten musste. Dessen Gedanken hierzu dokumentiert von Peschke in einem mehrseitigen Interview mit dem im Schweizer Exil lebenden Gorbatschow.

Wer bis heute noch verächtlich die Nase rümpft, wenn beim "Wunder von Bern", dem Sieg der Deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954, von der wahren Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland die Rede ist, dem seien die Ausführen von Peschkes nahegelegt. Dort nämlich zeigt sich, was eine andersartige Bewertung einer einzigen Abseitssituation für Folgen hätte haben können. Nach dem 3:2 durch Helmut Rahn hatten die Ungarn bekanntlich noch ein Abseitstor durch Puskas erzielen können. Doch hatte der Schiedsrichter kein Abseits gegeben, so dass sich die Mannen um Fritz Walter in der allgemeinen Konfusion auch noch kurz vor Abpfiff das 3:4 einhandelten und schlussendlich die Ungarn Weltmeister wurden. In der Folgezeit fand das Wirtschaftswunder in anderen europäischen Ländern statt, deutsche Arbeiter waren als Gastarbeiter in Frankreich, Italien, der Schweiz oder in Übersee gerne gesehen.

Es ist sehr kurzweilig, den wohl überlegten Abschweifungen des Autors vom Pfad der Geschichte zu folgen. Der Leser wird von Peschke unzweifelhaft Recht geben, dass das Verfolgen und Ausstaffieren fiktiver Geschichtsverläufe höchst unterhaltsam ist, auch wenn die Puristen unter den Historikern dem nichts abgewinnen können. Von Peschke setzt sich sowohl im Vorwort als auch im Epilog ambivalent mit der Bewertung kontrafaktischer Geschichte auseinander, so dass das vorliegende Buch durchaus eine geschichtswissenschaftliche Berechtigung besitzt und einen angemessenen Platz im Repertoire des angesehen Theiss-Verlags einnehmen darf.

Christoph Mahnel
14.07.2014

 
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Das Buch:

Hans-Peter von Peschke: Was wäre wenn

Darmstadt: Theiss Verlag 2014
248 S., € 24,95
ISBN 978-3-806-22795-6

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