Medien & Gesellschaft
Hillsborough , Busby Babes und Ayrton Senna
Die Geschichtsbücher des Sports erzählen in aller Regel von den glorreichen Sternstunden der Athleten und den großen Momenten, die die Massen rund um den Erdball elektrisierten. Doch kennt der Sport neben diesen einprägsamen faszinierenden Leistungen auch die Kehrseite der Medaillen, die Tage, an denen Katastrophen über den Sport hereinbrachen, die die Sonne verdunkelten oder sie gar vom Himmel fallen ließen. Dieses Bild hat der Sportjournalist Jürgen Bitter für sein Buch "Als die Sonne vom Himmel fiel" verwendet, worin er die größten Katastrophen der Sportgeschichte zusammengetragen hat.
Auf engstem Raum - sein Buch umfasst gerade einmal etwas mehr als 200 Seiten - erinnert er an 46 schwarze Stunden des Sports. Neben zahlreichen Stadionkatastrophen, bei denen Fans ihr Leben lassen mussten, und Flugzeugabstürzen, die meist ganze Teams in den Tod rissen, sind es vor allem Unglücke, bei denen die Sportler in der Ausübung ihres Sports verunfallten und die Momente schufen, die sich ins kollektive Gedächtnis der Sportwelt und seiner Fans einbrannten. Jürgen Bitter braucht im Schnitt lediglich drei bis sechs Seiten, um komprimiert die Situation, den Hergang und die Folgen der jeweiligen Unglücke zu beschreiben.
Gleich zu Beginn erinnert Bitter an diejenige Katastrophe, die mit ihren Folgen die Zäsur zwischen dem althergebrachten und dem heutigen modernen Fußball bildete. Als am 15. April 1989 im Stadion von Hillsborough beim englischen Pokal-Halbfinale 96 Menschen starben, befand sich die Fußballwelt zunächst in Schockstarre, doch wurden anschließend die Konsequenzen gezogen, die einen Wandel in der Welt des Fußballs einleiteten, der auch heute noch spürbar ist. Im gleichen Atemzuge sind natürlich die beiden Stadion-Katastrophen von Brüssel und Bradford im Jahre 1985 zu nennen, bei denen ebenfalls viele Fußballfans unter anderem mangels geeigneter Sicherheitsvorkehrungen ihr Leben lassen mussten. Andernorts wurde die Aufarbeitung ähnlicher Unglücksfälle dagegen klein gehalten: Das wahre Ausmaß des Unglücks im Moskauer Luschniki-Park von 1982 im Rahmen eines UEFA-Cup-Spiels wurde erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion deutlich.
In Bitters Zusammenstellung fehlen natürlich auch nicht die Flugzeugabstürze großer Fußballmannschaften, die abrupt Epochen beendeten und Fußballfans der Vereine bzw. Nationen über Jahrzehnte hinweg in ein Tal der Trauer stießen. Als Ende der Vierziger Jahre der FC Turin die beste Mannschaft Italiens und womöglich auch Europas bildete, waren es diffuse Sichtverhältnisse als Ursache des Flugzeugabsturzes, die die gesamte Mannschaft auslöschten. Der FC Turin hat sich von diesem Schock bis heute nicht erholt, anders als Manchester United, für die der Absturz von München anno 1958 trotz der zahlreichen dabei getöteten Spieler die Urkatastrophe, aber zugleich die Stunde Null für ihren Siegeszug durch England und Europa in den folgenden Jahrzehnten bilden sollte.
Die schockierendsten Bilder bilden für den Sportfan zweifelsohne die Momente, in denen er gerade eben noch fasziniert einem Wettkampf gefolgt ist, dabei aber den Sportler in Ausübung seiner Leidenschaft ums Leben kommen sieht. Die Bilder aus Imola, als dort im Mai 1994 Ayrton Senna beim Formel-1-Rennen an einer Mauer sein Leben ließ, werden nie aus den Erinnerungen der Sportfans gelöscht werden können. Stefan Bellof, Wolfgang Graf Berghe von Trips und Bernd Rosemeyer erging es ähnlich, auch sie verloren im Rausch der Geschwindigkeit die Kontrolle über ihren Rennwagen und bezahlten dafür mit ihrem Leben.
Jürgen Bitter ruft mit den einzelnen Episoden seines Buchs völlig unterschiedliche Emotionen beim Leser hervor. Je nachdem, ob man dabei von einer Sportkatastrophe erstmals erfährt und dies als Informationsgewinn betrachtet, oder ob persönliche Erinnerungen in einem geweckt werden, die man mit dem Erleben dieser Schicksalsmomente verknüpft, wird der Leser das Studium der einzelnen Kapitel völlig unterschiedlich erleben. Dies hat zur Folge, dass kaum ein Leser die vom Autor vorgegebene Reihenfolge der 46 Kapitel einhalten wird, sondern eher aus dem eigenen Fokus heraus zwischen den einzelnen Kapiteln hin- und herspringen wird.
Dem Autor ist ein kurzes und knappes, aber doch höchst einprägsames "Memento mori!" gelungen, das präzise und fokussiert die Geschehnisse darstellt und einordnet. Bitter verzichtet auf eine reißerische Schilderung, sondern lässt die jeweiligen Situationen auf den Leser wirken. "Als die Sonne vom Himmel fiel" ist ein völlig anderes Sportbuch, da es nicht die Sieger und Triumphe im Mittelpunkt hat, sondern deren Vergänglichkeit betont. In einer sehr repräsentativen Breite erinnert Bitter an die Sportler, die aufgrund unglücklicher Umstände auf dem Höhepunkt ihres Schaffens oder sehr oft kurz davor ihr Leben lassen mussten und nicht die Sternstunden ihres Sports erleben durften, dem sie zuvor große Teile ihres viel zu kurzen Leben gewidmet hatten.
Christoph Mahnel
02.06.2014