Medien & Gesellschaft

Eine interaktive Debatte über das Für und Wider von Internet und Multimedialität

Im heutigen Medienzeitalter sind der Computer und das Handy zu Instrumenten geworden, die das Leben des Menschen und sein Denken zu diktieren beginnen. Mit einem Klick oder Tastendruck lassen sich Hunderte an Informationen in Sekundenschnelle herunterladen - ohne kritische Prüfung derer und in der irrigen Annahme, dass im Internet das wahre Wort regiert. Durchschnittlich zweieinhalb Stunden sind die Deutschen täglich online und recherchieren Fakten, die nicht selten zum guten Teil mit Fiktion und Wunschdenken vermischt sind. Da war es nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand wie Nicholas Carr diesem Trend ein Gesicht gibt - hier mit seinem Sachbuch "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?", einer kritischen Abhandlung über die Frage, wie Internet das Denken des modernen Menschen verändert.

Die Folgen des World Wide Web lassen sich bereits am Leseverhalten des Nutzers erkennen. Statt dicke Wälzer wie Tolstois "Krieg und Frieden" von der ersten bis zur letzten Seite wie früher durchweg zu genießen, werden Inhalte überflogen und nach den wichtigsten Eckpunkten durchforstet, ohne sich dabei in unwichtigen Details zu verlieren. Diese erschreckende Entwicklung hin zum Überfliegen von Texten setzt sich inzwischen selbst beim Buch- und Zeitungslesen durch. Und das ist erst der Anfang! Freunde werden über Netzwerke gefunden, der Kontakt wird via E-Mails und SMS gehalten - so verschickte letztes Jahr der durchschnittliche amerikanische Teenager 2272 SMS im Monat - und ein tiefschürfendes Gespräch verliert sich in Kürzeln, an die man sich hinterher kaum noch erinnern kann. Kein Wunder also, dass eine "Verdummung" des Users nicht mehr in weiter Ferne liegt.

Was aber viele nicht ahnen: Dieser Wandel hin zur Vereinfachung des (komplexen) Denkvorgangs wurde schon vor Urzeiten gelegt. Bereits Sokrates äußerte einst Bedenken, dass die Schrift ein Medium sei, mit dem der Grundstein für die Medialisierung der Gesellschaft gelegt werden würde. Und auch Friedrich Nietzsche ahnte, dass die Zukunft in unebenen Bahnen verlaufen wird. Demzufolge ist Carrs Sachbuch nicht nur eine gesellschaftskritische Abhandlung der Moderne, sondern zugleich eine Zeitreise durch die Philosophie-, Technologie- und Wissenschaftsgeschichte, die ebenso spannend wie erhellend ist.

Nicholas Carr rüttelt mit seinem Buch "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?" den modernen Leser auf, indem er ohne Verschönerung und in klaren Worten über die Gefahren des Mediums Internet aufklärt und neue Wege eines vernunftgemäßen Nutzens aufzeigt. Erschütternd, kritisch, nüchtern und trotzdem auf seine Weise unterhaltsam - so gestaltet Carr seine Aufklärungsschrift, die sich wie eine interaktive Debatte über das Für und Wider von Internet und Multimedialität gestaltet. Dabei tun sich allerlei Abgründe auf, in die man dank der Lektüre nicht zu stürzen droht. Vielmehr beschützt der Autor seine Leser vor einem Absturz, indem er neue Wege aus dem mechanisierten Denken aufzeigt - ein ehrendes Ziel, bei dem so manch anderer (Gesellschafts-)Kritiker zu verzweifeln droht, denn kaum einer weiß so zu fesseln, zu polarisieren und trotzdem formidable Aufklärungsarbeit zu leisten wie Nicholas Carr.

Susann Fleischer
03.01.2011

 
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Das Buch:

Nicholas Carr: Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert. Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind

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München: Karl Blessing Verlag 2010
384 S., € 19,95
ISBN: 978-3-89667-428-9

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