Medien & Gesellschaft

Strikter Stilist

Nein und nochmals nein: Paul Nizon ist kein Franzose! So gern er Frankreich auch zur Wahlheimat machte und die Franzosen zu den Wahlverwandten. Wie mancher vor ihm, dem er Respekt zollt, zum Beispiel dem Iren Beckett und dem Amerikaner Hemingway. Die Genannten gehören zu der Gruppe der Herausragenden, die in der Gemeinschaft der Weltliteratur vereint sind. Dieser fühlt sich der gebürtige Deutschschweizer Nizon nicht nur nah.

Aufgestiegen aus der deutschen Sprache, hat der Erzähler die Sprache entwickelt wie sie ihn. Aus Worten hat er Wortkaskaden gemacht, die wegschwemmten, was an deutschsprachiger Literatur seiner Zeit da war. Ausgenommen Thomas Bernhard, dessen Werk der Nizon-Welle widerstand wie der Fels in der Brandung. Paul Nizon sieht sich als Meister des Metiers. Vergleichbar einem Kafka, einem Musil. Seit über drei Jahrzehnten wohnhaft in Paris, fühlt sich der Schriftsteller längst im Land der Weltliteratur zu Hause, indem er die deutschsprachige Provinz überzeugt und überzeugend vertritt. Stil ist Nizon alles. Ohne Stil ist ihm alles nichts. Für die Schönheit der Stilistik hat er so manche erzählbare Geschichte vergessen oder, ganz absichtsvoll, verachtet. Ein Schreiber, der diesen Status hat - und ihn auch so beschreibt - ist einer aus dem 20. Jahrhundert, der "ins 21. Jahrhundert schreibt", wie er sagt.

Paul Nizon ist einer der Berühmten des berühmten Literaten-Jahrgangs 1929. In der Reihe der Letzte, am 29. Dezember des Jahres geboren, ist er der Erste. Also, sich Zeit nehmen für den Zeitgenossen, der sich schon in der kommenden Zeit angekommen wähnt. In einen Band gepresst, ist der gesamte Paul Nizon auf nahezu anderthalb Tausend Seiten zu haben. Nach einigen Erzählungen geht`s gleich hinein in den Roman "Canto". Seit knapp einem halben Jahrhundert da, wusste die Lesergemeinschaft mit dem Buch nichts anzufangen. Die Leser formierten sich Pro und Contra Nizon. In der "Canto"-Zeit begann der strenge Stilist und Stil-Magier sein Journal zu schreiben. In nunmehr vier Abteilungen, die eine Überschau von 1961 bis 1999 ermöglichen, sind die Journal-Texte in dem Mammutbuch vereint. Sie nehmen fast die Hälfte des Bandes in Anspruch und haben damit einen Anspruch. Dem müssen die Leser gerecht werden, die lesen, was zum Substanziellsten gehört, das von dem Schriftsteller gekommen ist. Das Journal liefert keine beliebigen Notizen, die die Nebenprodukte des Epikers sind. Sie sind die Summe eines Schriftstelleralltags, die am wenigsten den Alltag des Schriftstellers beschreiben. Wann immer Paul Nizon schreibt, schreibt er als Schöpfer. Alles Geschriebene ist Schöpfung. Auch, wenn es Annäherung an das Schaffen, das Zu-Schaffende ist. Was und wie sich der Schriftsteller entwickelte ist ablesbar, wenn, gut konzentriert wahrgenommen wird, wie und was der Schriftsteller in den Jahrzehnten im Sprachlichen entwickelte.

Der Autor, der sein "Canto" schrieb, der sich keine Diffusität in der Diktion gestattete, wurde als diffus empfunden. Später spricht Paul Nizon von der Arroganz seines Subjekts und somit der des Schriftstellers. Ohne seine Rolle als Solitär der deutschen Sprache aufzugeben, aufgeben zu können, ohne sein grundsätzliches Einzelgängertum überwinden zu wollen, kommt er den Lesern entgegen. Auch die Syntax des Schriftstellers ist eine entwickelte, sich entwickelnde Syntax, die die Leser zum Lesen der Texte erzieht. Ohne Umschweife. Mit aller Selbstverständlichkeit, die sich aus dem in Jahrzehnten wachsenden Schreiben ergibt. Paul Nizon ist lesbarer geworden, doch in nichts leichter. Er war, er ist, er wird sein: eine elitäre Erscheinung. Paul Nizon ist ein Selbstdenker, dem man keinen Gefallen tun muss, indem man selbst denkt. Indem, man selbst denkt, kann man sich einen Gefallen tun. Mit Nizon muss man sich nie gemein machen, der sagte: "Die in der Sprache zustande kommende Wirklichkeit ist die einzige, die ich kenne und anerkenne."

Bernd Heimberger
23.11.2009

 
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Das Buch:

Paul Nizon: Romane. Erzählungen. Journale

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Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2009
1488 S., € 30,00
ISBN: 978-3-518-42124-6

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