Medien & Gesellschaft

Bekannt durch Buchenwald

Einmal Opfer immer Opfer? Ist das das Schicksal des Stefan Jerzy Zweig? Als "Buchenwaldkind" wurde er weltbekannt. Bekannt gemacht durch den Roman "Nackt unter Wölfen" und den gleichnamigen DEFA-Film. Ist Zweig ein Opfer der Nazis, der DDR, des demokratischen Deutschlands? Bill Niven zweifelt nicht. Seine Gewißheit ist, daß Zweig ein "dreifaches Opfer" ist. Opfer lebenslang? Ein Opfer, das sich nicht zu wehren weiß? Zweig hat 2005 das Familien-Erinnerungs-Buch "Tränen allein genügen nicht" im Selbstverlag herausgebracht, nachdem viele Verlage ihr Desinteresse bekundeten.

Von Zweigs Buch konnte Niven nur bedingt profitieren. Sein Buch "Das Buchenwaldkind" war abgeschlossen, als ihn die Publikation des Opfers erreichte. Dennoch ist der britische Historiker ein Profiteur des Opfers. Im positiven Sinne. Nivens Sachbuch gäbe es nicht ohne die Geschichte des Stefan Zweig. Nicht ohne den vor einem halben Jahrhundert veröffentlichten Roman "Nackt unter Wölfen". Den schrieb Bruno Apitz (1990-1979), ohne den die Zweig-Geschichte nicht in die Weltöffentlichkeit gekommen wäre.

Am Anfang war also der Autor. Sein Roman wurde, so Niven, in der DDR "als Gipfelpunkt der deutschen Literatur" gefeiert. Für den Historiker sind Buch wie Film "Geschichtsfälschung auf vielen Ebenen". "Nackt unter Wölfen" gehörte in der Zeit des Entstehens wahrlich nicht zu dem, was in der DDR gewünscht und gewollt wurde. Der Erfolg des Romans überraschte den Autor und alle, die am Werden beteiligt waren sowie die Ordnungshüter des Hauses DDR. Das allgemeine Bekenntnis zum Buch war eher eine Sache der Herzen denn der Hirne. Der Erfolg war der eines "Kitschromans", wie Jahrzehnte später Ruth Klüger, pauschal abwertend, urteilte. "Nackt unter Wölfen" hatte eine Wirkung, wie sie - um ein Beispiel zu nennen - "Schindlers Liste"  hatte. Geschichte wird sichtbar im individuellen Geschick. Humanität triumphiert, wo Inhumanität herrscht. Das wirkte in der Welt.

Die Weltwirkung wirkte auf Beteiligte und Betroffene: Verfasser, Vater und Sohn Zweig, Leidensgefährten und Kampfgenossen, die in Buchenwald waren. Der Welt reichte nicht das Werk und seine Wirkung in der Welt. Die DDR suchte, fand und "adoptierte" das "Buchenwaldkind". Damit begann Teil Zwei des Dramas. Einer der Gründe, das Buch maßzunehmen. Der Roman musste sich gegenüber der Realität rechtfertigen. Und konnte, weil Literatur, nie der Realität genügen. Gewöhnt, sich durch Archive zu ackern, hat Bill Niven nicht nur geprüft, was bisherige Prüfungen brachten. Der Historiker hat seine Schlüsse gezogen. Imponierend, was er an Fakten und Daten anhäufte. Imponierend auch, sein Wille zu verstehen, was die Unterschiede zwischen Realem und Fiktivem verursachte.

Niven ist kein penetranter Polemiker. Er ist kein Propagandist. Er weiß seine Analyse besonnen, bedacht, doch nie schulmeisterlich zu vertreten und zu verteidigen. So ist es leicht, seiner Sicht der Dinge zu folgen. Aufrichtig ehrgeizig, wie der Autor ist, läßt er deutlich werden, wie enorm die Kluft zwischen Wahrem und Unwahrem im Buch ist. Bill Niven bröselt auseinander, was er auseinanderbröseln kann. Was längst die Runde gemacht hat wird nun detailliert deutlich. Die Realität war eine andere als die des Romans. Ist deshalb der Roman als Roman antastbar? Das ist eine Frage, die die Literaturwissenschaft betrifft. Die war noch nie so vermessen, den Ideologen nachzuplappern, die "Nackt unter Wölfen" in den Olymp deutscher Nationalliteratur hieven wollten.

Der Roman war kein literarisch bedeutsamer Roman der deutschen Sprache. Bill Niven ist in der Bewertung des Werks zurückhaltend. Seine Bestandsaufnahme ist die des Historikers, auch Literaturhistorikers, der penibel auflistet, was Dichtung und Wahrheit sind. Für den Fachmann keine Gratwanderung! Versiert im Gewerbe, betrachtet und bewertet Niven mit gebotener Sachlichkeit. Die bringt ihn nie in die Gefahr, sich an ideologischen, parteilichen, nationalen Scharmützeln zu beteiligen. Das Sachbuch von Bill Niven macht penibel plausibel, welche Ursachen das Leben des Stefan Zweig für die Opferrolle prädestinierten. Nur das Leben des "Buchenwaldkindes"? Nicht das des Bruno Apitz? Ist der vielseitig Musische kein Opfer der Nazis, der DDR, des neuen Deutschlands?

Die Resonanz von "Nackt unter Wölfen" hat den wahrlich mittelmäßigen, bereits älteren Schriftsteller überrumpelt. Apitz war stolz, stolz und stolzer. Und hat wahrgenommen und hingenommen, dass sich der Erfolg verselbstständigte und ihn "in Haft" nahm. Bereits in den sechziger Jahren hatte der Schriftsteller "den ganzen Rummel satt". Weil er all die Erwartungen fürchtete, die er nie erfüllen konnte. Aber das Opfer Bruno Apitz ist ja kein Thema. Für immer?

Bernd Heimberger
23.03.2009

 
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Das Buch:

Bill Niven: Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda. Aus dem Englischen von Florian Bergmeier

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Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2009
328 S., € 24,90
ISBN: 978-3-898-12566-6

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