Medien & Gesellschaft

Eine Kostbarkeit für Weckerianer

Entweder mag man Konstantin Wecker oder man ignoriert ihn. Wer um die 40 ist, kennt von ihm die sadopoetischen Gesänge, mit denen man in der eigenen Jugend seinen Weltfrust lautstark bekundet hat. Wir waren mit Konstantin "immer am Strand", in Italien unterwegs, wir sahen ihn neiderfüllt im Fernsehen, wir fühlten uns zum Ritter geschlagen, wenn er in seinen Konzerten mit dem üblichen Grinsen mit der Hand vom Flügel aus wedelte und darum bat, man möge doch ein wenig ranrücken. So waren seine Konzerte, vor allem die der frühen Zeit, als gerade mal 30, 40 Insider kamen, ein Highlight, das keiner, der eines erlebt hat, missen wollte - eine intime Runde, Wecker am Flügel, die unnachahmliche Stimme, die Texte irgendwo zwischen bösartig-bissig-real und dem unverrückbaren Glauben an die Liebe und das Gute im Menschen, Zugaben, bis er fast vom Klavierhocker fiel. Ein Künstler am Anfang. Einer zum Anfassen. Einer aber auch, bei dem klar war - was er sagt, ist immer authentisch, seine Wahrheit. 

Inwieweit man seine Wahrheiten teilen konnte, war die Frage nach persönlichen Lebenserfahrungen. Immer wieder überraschte Wecker seine Fangemeinde, sei es mit seiner Lyrik, mit anderen Büchern, mit den Bühnen, die immer größer wurden, dann der krasse Absturz, der eigentlich keiner war, denn Wecker war nie eigentlich weg aus dem Leben seiner Fans. Wecker war immer "phasenweise". War man frisch verliebt, wollte man an den Ufern des Meeres sein, war man gerade schlecht drauf, röhrte man "Genug ist nicht genug" und "So a saudummer Tag", echte Hits, die doch nur einen kleinen Teil des Weckerrepertoires ausmachen.

Dann der Schock - Wecker verlässt Bayern. Ja, darf man das verzeihen? Alberne Frage. Man muss. Wecker hat ein Recht auf sein eigenes Leben und das hieß in den letzten Jahren: Kokserimage überleben, Ehe akzeptieren, zu Kindern beglückwünschen und - endlich wieder Weckerleuchten erleben in Konzerten mit einem Wecker, der ist, was er war und noch viel mehr, eine gereifte Persönlichkeit, ein Philosoph, kein Schwätzer, sondern ein Mann mit Ecken und Kanten, der sein Inneres außen zeigt und dafür eine reingewürgt bekommen kann, egal, so ist er halt.

Ein echtes Erlebnis ist das neue Buch, das Günter Bauch zusammengestellt hat. Eine Kostbarkeit für Weckerianer! Fotos, die den Menschen Wecker zeigen, den Künstler auf der Bühne, das Team, die Crew, wenig von der Familie (ein Glück. Privatleben muss privat bleiben dürfen!), dafür Wecker mit allen Frisuren, die man so an ihm gesehen hat, Wecker im Rampenlicht, nachdenklich, allein am Flügel - Wecker at his best.

Dazu Auszüge aus Interviews, die man als kluger Journalist mit Wecker besser nicht macht. Interviews mit Konstantin Wecker sind ein echtes Risiko - es gibt wenig Journalisten, die darauf gefasst sind, so tiefe, philosophische, durchdachte, engagierte und doch so persönliche Statements zu hören - in der Länge, in der sprachlichen Ausgefeiltheit, in der Dichte der Aussage (und Weckers Fähigkeit, dazwischen gworfene Sätze des Interviewpartners einzubauen ...). Wecker kehrt sein Inneres nach Außen, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Missverstehen kann man ihn nicht - er sagt stets deutlich, was er meint und das ist für Wankelmütige keine leichte Kost. Ausschnitte aus seinen Zitaten, die aus den Jahren 1978-2001 stammen, sind als grafische Kleinodien den Seiten zugeordnet - ein Bilderbuch mit Text, bei dem man an manchen Stellen schon mal in die Knie gehen kann.

Da ist er wieder, der alte Kraftprotz, der mit Inhalten jongliert wie andere mit Bällchen, der deshalb so enorm glaubwürdig ist, weil man weiß, dass er in jeden Haufen, über den er spricht, selbst getreten ist. Viele Stellen muss man oft lesen - zu viel Inhalt, enorm facettenreich und immer tritt aus den Texten ein Mensch hervor, der gereift ist durch Erfahrung. Erinnert an Konfuzius’ Wege zur Erkenntnis: "Der aus Erfahrung ist der bitterste" - bittere Tränke hat Wecker viele geschluckt. Und immer hat er es geschafft, sie umzuwandeln in Erkenntnisse, in Wahrheiten, in Denkanstöße. Kann man von Kunst mehr erwarten? Dass er als Klavierspieler begeistert, dass Wecker den Zuschauer zwingt, aufzustehen und "Nein" zu schreien, wenn es um total zugenebelte Zeitgenossen geht, dass er den Finger penetrant auf schlecht überschminkte Wunden legt, ist normal. Dass er immer wieder aufsteht, muss so sein - schließlich hat er lange genug dazu aufgefordert. Dass er es aber auch wirklich packt und angeht - das ist das Phänomen Wecker, dem mit diesem Buch ein ganz besonderes Denk-Mal gelungen ist. 

Wer das Buch nicht hat und behauptet, Weckerfan zu sein, ist enttarnt. Keine Lektüre für Weicheier, die einen Hochglanzstar anhimmeln wollen. Wecker ist keiner zum Anschmachten. Das ist einer zum Fingerhakeln, zum Streiten, zum Wachmachen, zum Begeistern, Voll-Mensch, kein Starschnitt. Und dass auch dieser Mann nicht lebenslänglich eine Masche abreitet und irgendwann vom immer gleichen Lied getötet wird, merkt man spätestens dann, wenn die eigenen Kinder sich als Weckerfreunde outen - ja, im Kinderzimmer steht er jetzt auch schon, der Wecker. Mit Jim Knopf. Und kaum war das Buch da, fand ich es auf dem Schreibtisch der Kinder, die die Fotos anguckten wie sonst nur Familienalben. Da fiel mir auf, was mir Wecker eigentlich ist - eine Art Familienmitglied. Einer mit dem Recht, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Ein Fordernder, auf dessen Fahne Menschlichkeit, Gerechtigkeit steht und immer wieder eines - Liebe. Und was sagt Wecker zum Glück? "Ich glaube, Glück hat nichts zu tun mit irgendwelchen Erlebnissen, mit irgendeinem Gegensatz zu etwas. Es hat damit zu tun, wie ich mich im Jetzt zurecht finde, wie ich das Leben akzeptiere, wie ich das akzeptiere, was auf mich zukommt. Wie ruhe ich in mir selbst."

Ein Rundgang durch die Weckerwelt - von der Kindheit, den Gedanken zu glücklichen Momenten in den Isarauen, der Musik, die das Leben so wesentlich bestimmte, über die Anfänge, die Erfolge, die Sucht und das Leben nach dem Wendepunkt. Ein Muss! Besonders schön ist es, viele Gedanken nachlesen zu können, sich dabei die Bilder anzuschauen und im Hintergrund natürlich Wecker zu hören. Auswahl genug ist ja geboten. Von den ganz alten Klängen bis zur neuesten "Vaterland" - Wecker ist immer authentisch. Gemma!

csc
05.07.2001

 
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Das Buch:

Günter Bauch (Hrsg.): Politisch nicht correct: Konstantin Wecker im Gespräch. Texte und Fotos

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Bremen: Doell Verlag 2001
159 S., € 29,65
ISBN: 3-8880-8270-6

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