Medien & Gesellschaft
Eines von Peter Handkes Notizbüchern erstmals vollständig publiziert
Tausende Notizbuch-Seiten wurden von Peter Handke seit Anfang der siebziger Jahre beschrieben. Diese Hefte, Bücher, Blöcke, die in Jacken- oder Hosentasche passen, sind seine ständigen Begleiter, zuhause wie unterwegs. Aufgezeichnet werden Selbstgespräche und poetische Reflexionen, Einfälle und Ideen für literarische Projekte, vor allem aber Gesehenes, Gelesenes und Gehörtes. "Ich übte mich nun darin, auf alles, was mir zustieß, sofort mit Sprache zu reagieren, und merkte, wie im Moment des Erlebnisses gerade diesen Zeitpunkt lang auch die Sprache sich belebte und mitteilbar wurde", so Peter Handke zur Praxis seines Notierens.
Anlässlich des 80. Geburtstags des Nobelpreisträgers wird nun eines dieser Notizbücher erstmals vollständig in einer Transkription der Handschrift veröffentlicht. Es dokumentiert vor allem eine ausgedehnte Reise, die Peter Handke im Sommer 1978 zu Fuß, mit dem Bus und per Bahn unternahm und die ihn von seiner Herkunftsgegend Kärnten nach Slowenien, in den Karst und weiter nach Norditalien führte. Neben dem fortlaufend Niedergeschriebenen erweisen sich auch die vielen, teils ganzseitigen Zeichnungen als wichtige Vorarbeiten für die später erschienenen Erzählungen, insbesondere "Langsame Heimkehr" und "Die Wiederholung".
Sachliteratur aus der Feder eines (laut Eva Menasse) "Autors von Weltrang" - dass ein Notizbuch ähnlichen Unterhaltungswert besitzen kann wie ein Roman, mag zwar erstaunen, aber beweist Peter Handke auf jeder Seite von "Die Zeit und die Räume". Wahrnehmungen, Momentaufnahmen, Eindrücke, Gedanken und Zeichnungen machen das vorliegende Buch zu einer aufregenden Lektüre, die alle Sinne anspricht, ebenso wie Herz und Hirn. Man fühlt sich von Handkes Schreiberei auf jeder Ebene berührt, und auch ein wenig neidisch. Tagebücher sind in die Belletristik längst ein fester sowie wichtiger Bestandteil. Aber Notizbücher? Wenn von Handke, dann unbedingt, darüber hinaus ohne jeden Zweifel!
Die deutschsprachige Literatur wäre um einiges ärmer und trauriger ohne die Werke von Peter Handke. Mehr als ein halbes Jahrhundert (nämlich seit mindestens 1966) schreibt der Österreicher bereits, aber auch hat noch viel zu erzählen. Und als Leser/Leserin will man an diesen Geschichten und Theaterstücke mittelbar und unmittelbar Anteil haben. "Die Zeit und die Räume" zu "studieren" ist ein bisschen wie das Wiedersehen mit einem guten, alten Freund. Und dieses möchte man so bald nicht beenden!
Susann Fleischer
05.12.2022