Medien & Gesellschaft

Ein juristisches Gutachten über die Umtriebe zweier jugendlicher Straftäter zur Warnung für Eltern und Pädagogen

Ganze Generationen von Eltern gaben und geben ihren Kindern die gereimten "Lausbubengeschichten" zum Lesen oder verwenden sie als Gutenachtgeschichte. Gedanken über mögliche psychische Schäden für den Nachwuchs machen sie sich dabei nicht. Dies ist unverständlich, da die Beschreibung der Umtriebe von Max und Moritz aus einer in der Literatur beispiellosen Aneinanderreihung von kriminellen Taten besteht. Die Superstars des erfolgreichsten Kinderbuches aller Zeiten sind in Wahrheit bösartige Jugendliche, die aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten für ein ganzes Dorf eine Belastung sind. Strafjuristen und Kriminologen dürfen zu den geliebten Lausbubengeschichten nicht schweigen, auch wenn man sich dadurch nicht unbedingt beliebt macht.

Im Folgenden eine kleine Auswahl der schlimmsten "Straftaten":
1. Das Angeln und Verspeisen der gebratenen Hühner und des gebratenen Hahns der Witwe Bolte
2. Das Sägen einer Lücke in die Brücke vor dem Haus des Schneiders Böck und das Locken von diesem auf die Brücke durch Schmährufe
3. Das Stopfen von Flintenpulver in die Pfeife des Lehrers Lämpel
4. Das Verstecken der Maikäfer im Bett von Onkel Fritz
et cetera pp.

Max und Moritz haben ein langes Strafregister. Sie machen sich unter anderem des Hausfriedensbruchs, der Sachbeschädigung, des Diebstahls oder der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Ganz im Stil eines juristischen Gutachtens widmet sich Dr. Jörg-Michael Günther den Streichen von Max und Moritz en détail, allerdings - zur größten Freude des Lesers - nicht im trockenen Juristendeutsch, sondern mit einer Extraportion bitterbösen Humors.

In der heutigen Zeit würde der Fall von Max und Moritz für Aufsehen sorgen. Das Medieninteresse würde sich vermutlich kaum in Grenzen halten. Und das gelingt auch dem Leser nicht. Vor lauter Begeisterung hält es diesen gar nicht mehr auf der Couch. Denn langweilig wird es hier zu keinem Satz. Da hätte selbst Wilhelm Busch nach der Lektüre einen ziemlich schlimmen Lachmuskelkater. Kein Besuch in einem Gerichtssaal, kein Lesen eines Sachtextes kann da mithalten; oder wenn, dann nur äußerst schwer.

Ein Überraschungshit in jedem Bücherregal - wie kein anderer Verlag bringt Eichborn (Neu-)Erscheinungen heraus, die Lesespaß weit abseits des Mainstreams machen. Diese sind alles, aber ganz sicher nicht nullachtfünfzehn! "Der Fall Max und Moritz" von Dr. Jörg-Michael Günther ist solch eines und noch viel mehr: nämlich ein Geniestreich in der Sachliteratur. Schon ab der ersten Seite amüsiert man sich aufs Herrlichste. Jura muss also nicht so langweilig sein, wie die meisten glauben. Es würde nicht verwundern, wenn sich nach der Lektüre der eine oder andere für ein Studium der Rechtswissenschaft entscheiden sollte. Alle anderen werden sich zumindest erstklassig unterhalten fühlen. Das Urteil: Das lohnt definitiv eine Entdeckung!

Übrigens: Ein ganz heißer Tipp sind auch die anderen Publikationen von Günther, darunter "Der Fall Struwwelpeter" oder "Der Fall Rotkäppchen". Diese muss man lesen, unbedingt!

Susann Fleischer 
23.04.2019

 
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Das Buch:

Jörg-Michael Günther: Der Fall Max und Moritz. Juristisches Gutachten über die Umtriebe zweier jugendlicher Straftäter zur Warnung für Eltern und Pädagogen

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Köln: Eichborn Verlag 2019 232 S., € 18,00 ISBN: 978-3-8479-0656-8

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