Biographie
Der Mann mit der Mütze - eine Würdigung
Mit einem WM-Titel und einem EM-Titel ist Helmut Schön bis dato der einzige Trainer in der Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der dieses "Double" erringen konnte. Weitere Titel blieben ihm aufgrund des Wembley-Tores und Uli Hoeneß´ Elfer in den Nachthimmel von Belgrad zwar versagt, doch darf sich Schön noch Vize-Europameister, Vize-Weltmeister sowie umjubeltster und unvergessenster WM-Dritter aller Zeiten nennen. Sollte Jogi Löw ihn vielleicht eines Tages noch als erfolgreichsten Bundestrainer aller Zeiten ablösen, dann wird sich der Fußball-Fan im Hier und Jetzt sicherlich daran erfreuen, doch wird der "Mann mit der Mütze" unvergessen und einzigartig bleiben. Mit seinem Namen verbinden Menschen auf der ganzen Welt Titel und Triumphe, unvergessliche Fußball-Spiele, aber vor allem auch einen aufrichtigen, bescheidenen und stets höflichen Menschen, der über 14 Jahre hinweg die Geschicke der Nationalmannschaft lenkte.
Erscheinen heutzutage Bücher schon über mittelprächtige Fußballlehrer bereits zu deren Lebzeiten wie am Fließband, geben die Archive und Bestände zu Helmut Schön überraschenderweise nur recht wenig her. Darum war es höchste Zeit, dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit gerecht zu werden und eine entsprechende Biografie zu verfassen. Mit Bernd-M. Beyer hat sich nun ein fußballgeschichtliches Schwergewicht dieser Aufgabe angenommen. Viele Jahre lang arbeitete er als Lektor für den in Fußballkreisen hochgeschätzten Göttinger Verlag "Die Werkstatt". In Beyers Bibliografie finden sich fußballhistorisch wertvolle Werke zu Walther Bensemann, einem Pionier des deutschen Fußballs, oder "Das goldene Buch der Fußball-Weltmeisterschaft", mittlerweile das Standardwerk zur FIFA-Show, die alle vier Jahre die Welt stillstehen lässt. "Helmut Schön - Eine Biografie" lautet ganz schlicht und unscheinbar der Titel von Beyers soeben im Werkstatt-Verlag erschienenen Buch über den gebürtigen Dresdner.
Mit über 500 Seiten kommt das vorliegende Werk recht gewaltig daher, doch wer eine langatmige Aufarbeitung erwartet, wird sogleich eines Erfreulicheren belehrt. Beyer gelingt es, den Leser auf eine intensive und kurzweilige Reise durch fast fünf Jahrzehnte Spitzenfußball mitzunehmen: Angefangen mit Schöns ersten spielerischen Duftnoten in den dreißiger Jahren im Dress des Dresdner SC, wo er sich immerhin zweimal zum Deutschen Fußballmeister krönen konnte, über die erste Station als Auswahltrainer, für die saarländische Nationalmannschaft nämlich, bis hin zu seiner glorreichen Zeit beim Deutschen Fußball-Bund. Zunächst verdingte Schön sich noch als Assistent bei Sepp Herberger, bevor er 1964 in dessen Fußstapfen trat und die bereits erwähnten Erfolge feierte. Abseits aller Triumphe erscheint aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts insbesondere die Haltung Schöns als demütiger und integrer Mann erwähnenswert.
Beyer beginnt sein Buch mit einem Prolog zum EM-Finale 1972 und derjenigen Mannschaft, die angeblich den schönsten Fußball aller Zeiten gespielt haben soll. Anschließend hält sich Beyer streng chronologisch an den Werdegang Schöns vom Spieler über den Spieltrainer bis hin zum Trainer. An der einen oder anderen Stelle nimmt sich der Autor Zeit für Exkurse, in denen bestimmte Themen über Schöns gesamte Vita hinweg betrachtet werden, wie beispielsweise Schöns Verhältnis zu den Medien. Gegen Ende seiner Trainerlaufbahn hatte Schön noch einigen Gegenwind erfahren müssen, da der DFB als sein Arbeitgeber in diversen politischen Fragestellungen unglaublich dilettantisch agiert hatte und dieses auch Helmut Schön nachhaltig in Verruf gebracht hatte. Sehr ausführlich beschäftigt sich Beyer daher mit den davon betroffenen Charakterzügen und Handlungsweisen Helmut Schöns, um auch dieses dunkle Kapitel erklären zu können.
"Helmut Schön - Eine Biografie" ist die Würdigung eines außergewöhnlichen Menschen und eines außergewöhnlich erfolgreichen Fußballtrainers. Doch damit nicht genug, Bernd-M. Beyers Werk beinhaltet eine deutsche Zeitreise durch das vergangene Jahrhundert. Selbst Fußball-Experten werden im vorliegenden Buch an verschiedenen Stellen ihren Horizont erweitern können. Der Autor überzeugt darüber hinaus nicht nur mit inhaltlicher Expertise, sondern auch sein Schreibstil sorgt dafür, dass 500 Seiten über einen deutschen Nationaltrainer wie im Fluge vergehen können. Befördert wird dies natürlich durch den Umstand, dass die Jahre von Schöns Nationalmannschaftstätigkeit eine selbst hierzulande ungewöhnlich hohe Erfolgsdichte kannten, in der man sich beim Lesen innerhalb kürzester Zeit von Wembley-Drama zu Jahrhundertspielen und Titeln hangelt. Freunden des runden Leders, die gesteigerten Wert auf präzise und fundierte Expertise sowie gute Unterhaltung legen, kann die vorliegende Schön-Biografie daher nur wärmstens empfohlen werden.
Christoph Mahnel
12.12.2016