Biographie

Zehn Schläge volle Kraft

Olympische Sommerspiele 1936 in Berlin: Adolf Hitlers Propagandashow läuft wie geplant. Seine Athleten siegen und siegen, fleißig werden Goldmedaillen gesammelt, um am Ende der Spiele den prestigeträchtigen Medaillenspiegel zu dominieren, wie es später nur noch dopingverseuchte Ostblock-Staaten oder China bei den Heimspielen in Peking vermochten. Doch die eine oder andere bittere Niederlage musste auch der '"Führer" hinnehmen, so verliert die haushoch überlegene Damensprintstaffel im Olympiastadion kurz vor dem Ziel den Staffelstab, so muss die deutsche Fußballmannschaft sich schon in der Zwischenrunde dem vermeintlichen Zwerg Norwegen beugen und so muss sich das Flaggschiff der Ruderflotte, der Deutschland-Achter, gar mit der Bronzemedaille begnügen, knapp geschlagen von einem College-Boot der University of Washington.

Der amerikanische Autor Daniel James Brown hat die wunderbare Geschichte der neun Ruderer aus Seattle knapp siebzig Jahre nach den Geschehnissen in Berlin-Grünau tiefgründig und mit viel Leidenschaft recherchiert. Sein '"The Boys in the Boat" grüßte nach dem Erscheinen vor zwei Jahren in den USA monatelang von Platz 1 der '"New York Times"-Bestsellerliste. Joe Rantz war einer der Jungs aus dem Boot. Kurz bevor er im Jahre 2007 starb, traf Brown ihn mehrmals und ließ sich von den Erzählungen des Sterbenden über den unglaublichen Geist im '"Boot", das viel mehr als ein hölzernes Rudergefährt zu sein scheint, derart begeistern, dass er sein Projekt für das vorliegende Buch startete. Auch nach Rantz‘ Tod führte Brown seine Recherchen mit Hilfe von dessen Frau Judy konsequent fort, so dass nun eine detaillierte Erzählung über eine Mannschaft vorliegt, die den Leser von den ersten Ruderschlägen an begeistert.

Der US-amerikanische Sport lebt bekanntermaßen von den Talentschmieden des College-Sports. Spiele und Veranstaltungen der College-Teams finden in den Vereinigten Staaten oftmals mehr Aufmerksamkeit als die hierzulande berühmten und beobachteten Profiligen. Bereits in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten sich in den verschiedenen Sportarten Hochburgen und natürlich auch Rivalitäten zwischen Universitäten herausgebildet, die dafür sorgten, dass hochkarätige Sportler und Mannschaften entstanden. Im Rudersport war dies seit jeher das Westküsten-Duell zwischen der University of California und besagter Hochschule aus Seattle, die im Jahre 1936 den Olymp besteigen sollte. Joe Rantz bewirbt sich zu Beginn seiner College-Zeit für die Rudermannschaften der University of Washington. Dort ist alles darauf angelegt, die erfolgsverwöhnten Kalifornier vom Thron zu stoßen. Dass am Ende dabei sogar ein Olympiasieg im fernen Europa herausspringen sollte, ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch wirre Phantasterei.

Brown legt seine Erzählung sehr breit an, um die Hintergründe und die Motivation der Jungs aus dem Boot besser verstehen zu können. Es sind die traurigen Gegebenheiten zu dieser Zeit, die als die '"Große Depression" in die Geschichte eingehen sollten und die das tägliche Leben in den gesamten Vereinigten Staaten bestimmten. Doch die Jungs von Coach Ulbrickson trotzen nicht nur diesen furchtbaren Rahmenbedingungen, sondern sie bekommen über die Jahre hinweg auch ihren Dauerrivalen in den Griff, um sich schließlich bei den alles entscheidenden Ausscheidungskämpfen ihr Ticket für Berlin zu sichern. Der Autor richtet die Erzählung um Joe Rantz als seiner zentralen Person aus, doch widmet er sich in Seitenblicken auch den anderen Sportlern, Trainern und Personen im Umfeld dieses Achters. Mit dem Bootsbauer George Peacock hat er sogleich den amerikanischen '"Ruder-Papst" ausfindig gemacht, dessen Weisheiten rund ums Rudern jeweils den Beginn eines jeden Kapitels zieren.

Auch dem Ruder-Laien, der sich diesem Sport maximal alle vier Jahre bei den Endläufen der olympischen Spiele widmet, vermittelt Brown sehr gut ein Gefühl dafür, was Rudern so besonders und vor allem so anspruchsvoll macht. Neben der schwierigen Balance zwischen extremer Ausdauerleistung und filigraner Führung des Riemen lebt der Ruder-Achter vom '"Swing", dem tranceartigen Zustand, den die acht Jungs im Boot erzielen müssen, um die ganz großen Meriten einheimsen zu können. Sicherlich mag man die Geschichte um die neun Jungs, die gemäß dem deutschen Untertitel '"die Nazis in die Knie zwangen", als eine typisch amerikanische Geschichte à la '"Miracle on Ice" abtun, doch jeder, der sich für Sport und insbesondere für die Dynamik in funktionierenden Mannschaftsgebilden faszinieren kann, wird '"Das Wunder von Berlin" verschlingen und lieben.

Christoph Mahnel
26.05.2015

 
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Das Buch:

Daniel James Brown: Das Wunder von Berlin

München: Riemann Verlag April 2015
496 Seiten, 21,99 Euro
ISBN: 978-3-570-50184-9

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