Biographie

Einhundert Jahre nach der "Dreyfus-Affäre"

Als Barack Obama am 20. Januar 2009 das Amt des US-Präsidenten antrat, stand recht schnell fest, dass Guantánamo, ein grausames Gefangenenlager auf Kuba, in dem seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 Terrorverdächtige ohne ein Rechtsverfahren festgehalten werden, geschlossen wird. Aufgrund der Aktualität und der zahlreichen darüber stattfindenden Diskussionen hat Louis Begley in "Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte" die über ein Jahrhundert zurückliegende "Dreyfus-Affäre" wieder aufgerollt.

Das Buch ist in fünf Kapitel aufgeteilt, die Stück für Stück den Schrecken einer falschen Anschuldigung beleuchten und so den Blick des Rezipienten auf das aktuelle Politik-Geschehen lenken. Der jüdische Artilleriehauptmann im französischen Generalstab Alfred Dreyfus (1859–1935) wurde 1894 wegen angeblichen Landesverrats auf die berühmt berüchtigte Teufelsinsel gebracht, wo er fortan den Rest seines Lebens verbringen sollte. Das Erschütternde dieses Urteilsspruches ist die spätere Erkenntnis, dass Dreyfus unschuldig war und von seinen Militärkameraden denunziert wurde - nur weil er Jude war. Begley beginnt das Bild eines Lebensausschnittes von fünf Jahren nachzuzeichnen, das von einer unglaublichen Grausamkeit geprägt war. Um alle Aspekte dieses "Verbrechens" verstehen und nachvollziehen zu können, führt Begley die Vorgeschichte aus, sodass für den Leser in einem zweifellos nicht nachvollziehbaren Gerichtsprozess ausführlich die Hintergründe für Dreyfus´ Verurteilung dargelegt werden. Des Weiteren spricht er die auf der Teufelsinsel herrschenden Lebensverhältnisse an - so durfte Dreyfus kein Wort sprechen, wurde pausenlos überwacht und litt zu alledem noch an Malaria. Um einen aktuellen Bezug für den Rezipienten in das Buch hineinzubringen, werden anschließend in wenigen, aber eindringlichen Worten Parallelen zum Guantánamo-Häftling Salim Ahmed Hamdan gezogen, der ähnliche Erfahrungen wie Dreyfus machen musste. Somit wird aufgezeigt, dass das Thema aktueller denn je ist.

Im folgenden Kapitel unternimmt der Rezipient unter Begleys Leitung einen kleinen Exkurs in die französische (Militär-)Geschichte, beginnend mit dem 18. Jahrhundert, um den antisemitischen Aspekt des "Fall Dreyfus" stärker hervorzuheben und mögliche Erklärungen für die Denunzierung zu geben. Dabei verliert Begley nie den Hauptakteur Alfred Dreyfus aus den Augen. Vielmehr wird dieser an zahlreichen Stellen hervorgehoben. So hat der Rezipient immer wieder Dreyfus als Bezugspunkt, auf den sich das Buch gründet - auch wenn einige Inhalte nicht im unmittelbaren Zusammenhang zu ihm stehen. Im daran anschließenden Kapitel wird eindrucksvoll vermittelt, dass nicht ganz Frankreich rassistisch dachte. Dies zeigt sich an den zahlreichen Dreyfus-Anhängern, die an seine Unschuld glaubten und für ihn eintraten. Insbesondere seine Frau Lucie und sein Bruder Mathieu glaubten an Alfred Dreyfus´ Unschuld und kämpften für seine Freilassung. Diese konnte erfolgen, nachdem eindeutige Beweise gefunden wurden, dass Major Ferdinand Walsin-Esterházy der wahre Verräter war. Dieser wurde anschließend für schuldig befunden.

Dem Rechtsanwalt und Schriftsteller Louis Begley gelingt es mit seinem Buch "Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte" einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen auf erschreckend eindringliche Weise nachzuzeichnen, der innerhalb von fünf Jahren die Brutalität einer antisemitischen Bevölkerung zu spüren bekam. Dabei zieht er erstaunliche, aber doch durchaus bestehende Parallelen zwischen den Ereignissen zum Ende des 19. Jahrhunderts und denen zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Im Anhang des Buches wird in Kürze die Biographie Alfred Dreyfus´ wiedergegeben sowie alle Daten zu den damals stattgefundenen Ereignissen. Sollten die vielen Namen im Text verwirrt haben, kann man diese gleichfalls im Anhang nachschlagen. Mit klaren Worten, Zitaten aus Dokumenten und gerichtlichen Abschriften, einer darstellerischen Sprache und juristischem Sachverstand zeigt Begley auf, dass man einerseits niemals die Vergangenheit vergessen und andererseits immer den Blick auf die eigene Umwelt richten sollte. Denn nur durch die Ablehnung solcher Frevel können Änderungen herbeigerufen werden.

Susann Fleischer
06.07.2009

 
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Das Buch:

Louis Begley: Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte. Aus dem Englischen von Christa Krüger

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Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2009
247 S., € 19,80
ISBN: 978-3-518-42062-1

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