Biographie

Ein Leben zwischen Wahrheit und Dichtung

Wer London einen Besuch abstattet, kommt um eine Sehenswürdigkeit nicht herum: das weltberühmte Wachsfigurenkabinett "Madame Tussauds". Begründet wurde das Museum von Marie Tussaud (geborene Grosholtz). Um ihrem Lebensweg nachgehen zu können, hat Kate Berridge die Biografie "Madame Tussaud" verfasst, in der deutlich wird, dass das Leben dieser Frau voller Widersprüche und Widerstände war.

Madame Tussaud wurde 1761 als Marie Grosholtz in Straßburg geboren. Mit nur neun Jahren gingen sie und ihre Mutter, die für Doktor Philippe Curtius tätig war, zusammen mit Curtius nach Paris, wo er eine Ausstellung mit lebensgroßen Wachsfiguren eröffnete. Marie fing bereits in jungen Jahren an, für Curtius in seiner Ausstellung zu arbeiten, wobei sie mit niederen Arbeiten begann, bis sie schließlich eines Tages ihre ersten Wachsfiguren kreierte, die von Maries künstlerischer Fertigkeit zeugten. Ihre Fähigkeiten waren selbst für den französischen König von so überzeugender Kraft, dass sie im Jahre 1780 die Kunstlehrerin der Schwester von Ludwig XVI. wurde und von da an am königlichen Hof in Versailles lebte. Nach eigenen Aussagen wurde sie von der königlichen Familie als Gleichberichtigte angesehen und sogar zu ihrer Meinung zu einigen Problemstellungen befragt.

Als die Französische Revolution (1789-1799) ausbrach, nahm ihr Leben eine andere Entwicklung. Sie kehrte nach Paris zurück und soll gemeinsam mit Curtius Abdrücke der Köpfe Hingerichteter angefertigt haben - darunter angeblich auch Bekannte aus Versailles. Als sie 1794 Curtius' Figurensammlung erbte, begann sie, sich ein eigenes Geschäft aufzubauen. Hindernisse wurden ihr von zwei Seiten in den Weg gelegt: Einerseits von ihrem Mann François Tussaud, der lediglich an dem Geld seiner Frau interessiert war und keine wahre Liebe für sie aufbringen konnte, andererseits von dem Schausteller Philipsthal, mit dem Marie - in Frankreich inzwischen bekannt unter dem Namen Madame Tussaud - einen Vertrag einging, der für sie äußerst unvorteilhaft war. Philipsthal läutete auch Maries neuen Lebensabschnitt ein, als sie 1802 mit ihm nach England ging. Im Gepäck hatte sie ihre Wachsfiguren und begleitet wurde sie von ihrem ältesten Sohn, während François Tussaud und ihr kleiner, zwei Jahre alter Sohn daheim in Paris blieben. Die Jahre in Großbritannien waren geprägt von Geldknappheit, der Marie mit viel harter Arbeit entgegenzuwirken versuchte, und einem 33 Jahre andauernden Leben als Schaustellerin. Schließlich eröffnete sie 1835 in London, in der Baker Street, ihr inzwischen weltberühmtes Wachsfigurenkabinett und fortan konnte sie recht gut von den Einnahmen leben. Ihr Lebensinhalt bestand bis zum ihrem Tode 1850 aus der Erstellung von Wachsfiguren.

Kate Berridge versucht mit dem Buch "Madame Tussaud. Biografie" das Leben einer Frau nachzuzeichnen, das nur schwer greifbar ist. Zum einen ist dies begründet durch Madame Tussauds Memoiren, die zugunsten der Verfasserin stark ausgeschmückt wurden, und zum anderen durch einen Mythos, der sich seit über 150 Jahren hartnäckig hält. Berridge gelingt es allerdings durch aufgefundene Dokumente, durch die Aussagen längst verstorbener Zeitzeugen und damaliger Zeitungsberichte das Bild einer sehr erfolgreichen Frau nachzuzeichnen, die in ihrem Leben jedoch wenig Liebe und Anerkennung erfuhr und somit gegenüber anderen recht verbittert erschien.

Dass eine Biografie untrennbar mit den äußeren gesellschaftlichen und politischen Vorgängen verknüpft ist, wird besonders in diesem Buch deutlich. Insbesondere die Französische Revolution veränderte grundlegend Marie Tussauds Leben. Ein kleiner Makel des Buches ist, dass die geschichtlichen Ereignisse an einigen Stellen zu weit in den Vordergrund rücken, sodass die Hauptperson dieser Biografie, Madame Tussaud, nach hinten gedrängt wird. Dadurch entsteht leicht der Eindruck, dass das Buch eher ein Geschichtsbuch als eine Biografie ist. Dies hängt jedoch sicherlich mit dem Umstand zusammen, dass das Leben Madame Tussauds voller Widersprüche steckt. So gelingt es Berridge gut, fragwürdige Stellen in Madame Tussauds Memoiren aufzuzeigen und einen realistischeren Kontext zu erschaffen. Auf diese Weise erfährt der Rezipient nicht nur etwas über Madame Tussauds wahre Lebensgeschichte, vielmehr wird mit dem Mythos dieser Künstlerin aufgeräumt.

Susann Fleischer
22.06.2009

 
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Das Buch:

Kate Berridge: Madame Tussaud. Biografie. Aus dem Englischen von Friedrich Mader und Alexander Wagner

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Berlin: Osburg Verlag 2009
368 S., € 22,90
ISBN: 978-3-940-73118-0

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