Biographie
Libs Leben
Einfach nur Libs! So ließ sich Libertas Haas-Heye gern nennen. Großgeworden im großväterlichen Schloß Liebenberg, wo der übelbeleumdete Kaiserfreund Philipp zu Eulenburg-Hertfeld ihr Vorbild war. Keine Verwöhnte, war die am 20. November 1913 Geborene, doch eine Anspruchsvolle. Sie schätzte sich selbst und überschätzte sich. Libs klang kumpelhaft- kameradschaftlich und Kameradin wollte sie Vielen sein. Vor allem dem Einen, den sie, noch keine 23 Jahre, heiratete. Der Geliebte und dann Ehepartner sagte über die Verlobte: "Libertas ist mein stärkster Lebenskamerad und Bundesgenosse... ." Das war eine Wahrheit, die schließlich an der Wirklichkeit zerbrach. Einig waren und blieben Libertas und Harro Schulze-Boysen im Widerstand gegen die Nazis. Der Widerstand endete auf dem Schafott in Berlin-Plötzensee, wo Libertas Schulze-Boysen am 22. Dezember 1942 hingerichtet wurde. Auf dem Weg zum Fallbeil soll sie um die Schonung ihres jungen Lebens gebettelt haben. Das, auch das, war das Recht der jungen Frau, deren dreißigstes Lebensjahr gerade begonnen hatte. Libertas ist nicht heldenhaft gestorben. Überlebende der internationalen Widerstandsgruppe "Rote Kapelle", zu deren Hauptfiguren die Schulze-Boysens gehörten, haben der Schwachen Verrat vorgeworfen.
Wer war Libertas Schulze-Boysen? Das heißt, wie war sie? Wie können die wenigen Jahrzehnte ihrer Existenz wirklich gewesen sein? Was gibts über "Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen" zu berichten, wie der Untertitel der von Silke Kettelhake verfaßten Libertas-Biographie „Erzähl allen, allen von mir!“ lautet? Es ist nicht allzuviel Schönes im Leben von Libs gewesen. Es ist nicht allzuviel über das kurze Leben zu sagen. Dennoch ist der Autorin ein Buch von mehr als 400 Seiten gelungen. Das ist so erstaunlich wie es die Details sind, die von der Autorin aufgespürt, zusammengetragen und ausgeführt wurden. Details, die mehr oder weniger direkt mit dem Lebenslauf der Libertas Schulze-Boysen zu tun haben.
Wer, wie Libs, aus altem Adelsgeschlecht kam, wer verbunden und verkettet war mit einem Luftwaffenoffizier aus dem Reichsluftfahrtministerium, wer im Reichspropagandaministerium nicht nur für Kulturfilme zuständig war, lebte inmitten der gesellschaftlichen Realität des Dritten Reiches. Wer zudem mit einer antifaschistischen Haltung in der faschistischen Gesellschaft existierte, suchte und fand genug geistreiche Gesinnungsgenossen. Gleitend war da der allmähliche Übergang zum organisierten Widerstand. Kein Grund für die Autorin, die handelnden Personen und ihre Handlungen zu verherrlichen. Kettelhake ist bemüht, auch Widersprüchliches wie Widersinniges im Widerstand bekannt zu machen. Widersprüchliches, das vor allem in den charakterlichen Eigenschaften von Libertas auszumachen war, deren Ehe mit Harro, letztendlich, keine glückliche Geschichte gewesen ist. Das persönliche Scheitern will die Autorin nicht bewerten. Sie schildert die Ursachen der wachsenden Distanz, die wiederum Schlußfogerungen auf das Scheitern der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" zuläßt. Es ist keineswegs abwegig, festzustellen, daß der Wille zum Widerstand häufig die Fähigkeit der komplexen konspirativen Organisation des Widerstands überwog. Wie wesentlich persönliche Kontakte in der Gruppe waren, wie das Persönliche politische Aktionen bestimmt, ist in wenigen vergleichbaren Publikation dargestellt wie bei Kettelhake. Dieser Vorzug der Biographie „Erzähl allen, allen von mir!“ ist hervorzuheben. Das titelgebende Zitat wurde aus dem letzten Brief ausgewählt, den Libertas ihrer Mutter nach Liebenberg schrieb. Die vielen dokumentierenden Briefzitate bestimmen maßgeblich den Inhalt der so sehr das Persönliche betonenden Biographie. Dennoch helfen die Dokumente den Lesern kaum, zu einen zweifelsfreien Urteil über Libertas Schulze-Boysen zu kommen. Eine Freundin schrieb über Libs: "Sie war optimistisch, lebensdurstig und leichtgläubig." Andere Vertraute sagten ihr Leichtfertigkeit, Egozentrik nach und sprachen unverhohlen davon, daß Libs "etwas verrückt" war. Der Schriftsteller Günther Wiesenborn, der zeitweilige Geliebte, faßte Ansinnen und Absichten der Freundin mit den Worten zusammen: "Sie wollte nicht mehr illegal arbeiten, aber sie konnte Harro nicht im Stich lassen. Sie wollte leben, einfach leben. Sie wollte Liebe und Frieden."
Tatsache: Das Leben der Libertas Schulze-Boysen war ein zu kurzes Leben. Tatsächlich war in der kurzen Lebenszeit mehr als in den meisten Leben. Was Libertas lebte, wie sie lebte, das führte zum frühen Tode. Das ahnte sie wissend und wehrte sich gegen das Sterben. Das einen Widerspruch der Existenz der Libertas Schulz-Boysen nennen? Anmaßend war´s, vermessen! Nichts an Widersprüchlichem der Biographie auszulassen ist für Silke Kettelhake so selbstverständlich wie ihre Zurückhaltung in der Interpretation. Die Autorin schrieb mit dem Anspruch, als Erzählerin der Biographie von Libertas Schulze-Boysen anerkannt zu werden. Ein Anspruch, der sie überforderte. Kaum auf die Sprosse des Erzählens gestiegen, bricht die Sprosse. Dutzende der erzählenden Passagen sind bestes Material für eine Kitschpostille. Als versuchte Erzählerin verrät Silke Kettelhake die Publizistin in sich und hat so der Publikation wie den Lesern keinen Gefallen getan. Einfach die Publizistin zu sein hätte der Darstellung des komplizierten Lebenslaufes von Libs weit mehr genützt und so der Verständigung über eine Frau, die nicht vergessen sein sollte.
Bernd Heimberger
21.04.2008