Biographie

Erinnern , ohne Erröten

Den Nobelpreisträger Günter Grass läßt sich die Nation nun nicht mehr nehmen. Es ist noch nicht so lange her, da war dieser Grass für das bundesdeutsche Klein-Bürgertum der Unhold par exellance. Der Blechtrommler, meinten sie, hatte die schöne Wirtschaftswundermoral versaut. Über Grass wußten alle alles. Auch, ohne seine Bücher je gelesen zu haben. Einem, wie Grass, gab man seine Tochter nicht ins Haus! Anders die Pastorenfamilie Amelung. Sie ließ ihre Älteste, die 16jährige Margarethe, ziehen. Als Haustochter ins Heim der Grass-Sippe in Berlin-Friedenau. Mit Gottvertrauen. Mit dem Vertrauen in die gut erzogene Tochter.

Aus einer Großfamilie kommend, kam Margarethe in eine große Familie mit vier Kindern. In keiner „Durchschnittsfamilie“ zu Hause gewesen, geriet das Mädchen, fern der ländlichen Heimat, in keine Durchschnittsfamilie. Die „Herrschaft“ der auf Berlin und das Leben neugierigen Pfarrerstochter hieß Anna und Günter Grass. Noch keine Vierzig, war der „Herr Grass“ der „Küchenmeister“, Erzähler am Mittagstisch und Patriarch des Hauses. 14 Monate war Margarethe manchmal das Mädchen für alles. „Wie es denn so war“ Mitte der sechziger Jahre, schrieb sie ein Jahrzehnt später auf, ums für´s Gedächtnis zu bewahren. „Nichts Sensationelles“, wie sie weitere Jahrzehnte später notiert, als entschieden ist, das Erinnerte an „Fünf Grass´sche Jahreszeiten“ zu veröffentlichen. Darauf müssen sich Interessierte einstellen. Simple Klatschgeschichten gibt’s so wenig wie wesentliche Zeitbetrachtungen. Manches ist über das Eiltempo zu erfahren, in dem das Mädchen erwachsen wird. Manches auch darüber, daß ein Künstler „ein ganz normaler Mensch“ sein kann. Auf den einen Nenner gebracht, sind die Aufzeichnungen Notizen zum normalen Alltag einer bekannten Berliner Familie. In der entsprach einiges nicht üblichen Normen. Auffälligstes äußerliches Zeichen des Haushalts: Keine Tapeten, Teppiche, Tischdecken. Das muß wiederholt bemerkt werden. Freunde der Familie, gefeierte Feste sind nicht die Hauptthemen der Texte. Die ausführliche Passage zur Uraufführung von „Die Plebejer proben den Aufstand“ ist die Ausnahme. Die Literaturgeschichte werden die Erinnerungen von Margarethe Amelung nicht bereichern. Das Buch ist auch kein Beitrag zur Zeitgeschichte der geteilten Stadt. „Fünf Grass´sche Jahreszeiten“ ist  ein überaus persönlicher Bericht. Interna und Intimes zur Privatperson Günter Grass werden nicht preisgegeben. Genau sind die Blicke auf die privaten Lebensbedingungen der Familie Grass. Für Viele mag das nicht viel sein. Wann, wo jedoch ist der Vielberedete derart privatim zu sehen gewesen?

Den Erinnerungen an die 14 Monate sind ein viertelhundert Seiten vorangestellt. Nahezu stenogrammartig erzählen sie das Herkommen der Margarethe Amelung. Seiten, die mit steigender Spannung gelesen werden. Sie sind voll der Romanstoffe, die meist in Familiengeschichten stecken. Daß bischen Grass-Famileingeschichte, das Amelung aufgeschrieben hat, ist ein Punkt in der nun schon langen Lebenslinie des 80jährigen Literaturnobelpreisträgers. So deutlich viele Details des täglichen Haushalts-Alltags auch sind, mit keinem Wort ist gesagt, ob es bei Grass´s Zimmerpflanzen gab. Vermutlich würde das noch mehr sagen als die wiederkehrende Klage über das Fehlen von Tapeten, Teppichen, Tischdecken.

Bernd Heimberger
25.03.2008

 
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Das Buch:

Margarethe Amelung: Fünf Grasssche Jahreszeiten

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München: Langen/Müller Verlag 2007
144 S., € 14,90
ISBN: 978-3-784-43123-9

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