Biographie
Zwischen Revolution und Restauration
Wer sich in Buchform über das Leben des romantischen Schriftstellers Achim von Arnim informieren will, war bislang auf eine schmale Monographie vom Ende der 70er Jahre und die entsprechenden Abschnitte in einer neueren zweibändigen Doppelbiographie über Bettine und Achim von Arnim angewiesen. Nun endlich liegt eine aktuelle, umfassende Gesamtdarstellung des Werdegangs des Dichters, Naturwissenschaftlers, Journalisten und Gutsbesitzers vor, Leben und Werk, auf rund 280 Seiten kenntnisreich dargestellt und üppig illustriert mit 103, überwiegend farbigen Abbildungen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wer diese Biographie und die von Jürgen Knaack dafür herangezogene sechsbändige Ausgabe der Werke Arnims zur Hand hat, der verfügt über eine solide Basisbibliothek zum romantischen Dichter, die kaum einen Wunsch offen lässt. Nur für die - nicht in der Werkausgabe enthaltenen - Dramen und die wirkungsmächtige Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" wären weitere Ausgaben hinzuzuziehen.
Als Mitherausgeber des "Wunderhorn" ist Arnim - der Meistererzählungen wie "Isabella von Aegypten, Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe" und "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" schrieb - vor allem bekannt. Er hat in seinem von Januar 1781 bis Januar 1831 nur fünf Jahrzehnte währenden Leben nicht nur Gedichte und Erzählungen, Romane und Dramen, naturwissenschaftliche und journalistische Schriften verfasst, sondern war auch jahrzehntelang als Gutsherr und Landwirt tätig.
In die Zeit seiner Kindheit, die er in Berlin und auf dem nördlich der preußischen Hauptstadt gelegenen Familienbesitz Zernikow verlebte, fallen die Umwälzungen der Französischen Revolution. In seinem letzten Lebensjahrzehnt, das er überwiegend auf dem südlich von Berlin gelegenen Familiengut Wiepersdorf verbrachte, setzte er sich produktiv mit restaurativen Tendenzen in Politik und Gesellschaft auseinander. Dazwischen liegen die preußischen Reformen und die Befreiungskriege gegen Napoleon, welche ihn zusammen mit dem Hof ins Exil nach Königsberg verschlugen. Das Wiepersdorfer Landleben der späteren Jahre bewirkte bei Arnim eine gewisse 'Erdung' wie sie sich auch schon in seiner frühen Beschäftigung als Student mit Physik, Mathematik und Chemie gezeigt hat, bevor sich der junge Adlige der Literatur zuwandte.
Unter dem Einfluss des Dichters Clemens Brentano, mit dem er später in Heidelberg das "Wunderhorn" zusammenstellte, begeisterte er sich während seines Studiums und anschließend im Briefwechsel mit dem Freund für die romantische Idee einer allumfassenden Poesie, die sogenannten Universalpoesie, die Lebenspraxis und Kunst sowie die verschiedenen literarischen Gattungen miteinander verbinden sollte.
Jürgen Knaack zeichnet mit besonderem Augenmerk auf die journalistischen und politischen Äußerungen Arnims in 15 Kapiteln das Bild eines Romantikers, der innerhalb der Bewegung der 'Romantischen Schule' seinen eigenen Weg ging, schwankend zwischen Begeisterung und Resignation, zwischen den Familienpflichten eines Vaters von sieben Kindern und der von seiner Ehefrau Bettine eingeforderten Erfüllung seiner Berufung zum romantischen Dichter.
Den 'roten Faden' der Erzählung bildet die Entstehungsfolge von Arnims literarischen Werken und Schriften, der Weg des Schriftstellers vor dem Hintergrund der historischen und lebensgeschichtlichen Ereignisse. Das Buch bietet dazu eine Fülle an sorgfältig wiedergegebenen Dokumenten im Originalwortlaut, Zitate nach Handschriften und Werken, Äußerungen von Zeitgenossen und vieles mehr, dazu einschlägige Auszüge aus der wissenschaftlichen Literatur. Die Zusammenstellung dieser Texte ist äußerst verdienstvoll. Und doch wünscht man sich hie und da, der Verfasser hätte das manchmal seitenlang wörtlich Zitierte stärker in aufbereiteter Form präsentiert, also referiert, zusammengefasst oder in kürzeren wörtlichen Auszügen in den Fließtext integriert. Das hätte die bei der Lektüre dieser überaus detail- und kenntnisreich entwickelten Schriftstellerbiographie aufkommende Freude weiter befördert.
Es bleibt zu hoffen, dass das Buch viele Leser findet und weitere Auflagen folgen. Ein Personen- und Werkregister wäre für eine erweiterte Auflage eine sinnvolle Ergänzung, um das Buch auch als Nachschlagewerk noch besser nutzen zu können.
Jürgen Knaack hat sich fast ein Leben lang mit Arnim beschäftigt. "Achim von Arnim - Nicht nur Poet" hieß sein erstes Buch mit dem Schwerpunkt auf nicht-poetische Texte. Der aktuelle Titel antwortet Jahrzehnte später darauf mit einem Arnim-Zitat: "Alles in der Welt geschieht der Poesie wegen." Zusammenführung des Gegensätzlichen, das ist romantisches Denken, ist Universalpoesie. Der Kreis hat sich geschlossen.
Holger Schwinn
16.05.2022