Biographie
Chance im Clinch
Die DDR lebte gern mit Legenden. Auch mit denen, die sie um die Person von Karl Liebknecht spann. Stets galt er als der Reichstagsabgeordnete, der am 4. August 1914 als Einziger gegen die Bewilligung der Kriegskredite stimmte. Das war nicht so! Trotz seines Nein´s beugte er sich seiner Fraktion (SPD) und bereute das bitter. Im Dezember des Jahres ließ sich der Unbeugsame dann nicht mehr brechen. Stets galt auch als garantiert, daß Liebknecht am 9. November 1918 vom Balkon des Berliner Schloßes die sozialistische Republik ausrief. Das ist nicht falsch. Doch vor dem Balkon-Auftritt gab es den auf einem kleinen Kraftwagen vor dem Schloß. Genaugenommen weiß die Nachwelt nichts genau genug zum Leben Liebknechts, das kraftvoll, kämpferisch, quälerisch und wahrlich nicht nur glücklich war. Sporadisch aufgetauchte Biographien haben viel behauptet und wenig belegt. Warum ist das Wissen um den Menschen so mangelhaft, der während des Ersten Weltkriegs – neben dem Kaiser – „der bekannteste Mann in Deutschland“ gewesen sein soll?
Das zu erklären ist nicht Annelies Laschitza´s Sache. Erklären will sie, wer und wie Karl Liebknecht war. Die Autorin, die dank ihrer Luxemburg-Biographie „Im Lebensrausch, trotz alledem“ einen guten Leumund hat, legte nicht nur die umfänglichste, sondern die fundierteste Liebknecht-Biographie vor. Etwas irreführend „Die Liebknechts“ überschrieben – und „Karl und Sophie. Politik und Familie“ untertitelt -, ist das Buch keine reine Familiengeschichte. Es ist auch Familiengeschichte. Die beginnt mit Karls Vater Wilhelm: einem der Gründer der SPD. Die Geschichte von Vater und Sohn ist Teil der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, also der deutschen Geschichte nach der Revolution von 1848 bis zur Revolution von 1918. Ein beachtlicher Zeitabschnitt, der wahrlich schwer in einem Buch zu bewältigen ist. Dessen war sich Laschitza bewußt. Seit Jahrzehnten mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung beschäftigt, kennt sie ihre Irrtümer in der Interpretation und bekennt sich zu ihnen. Die unverhohlene Kritik zu eigenen, früheren Aussagen sichert der Verfasserin Sympathie wie die unverkennbare Pro-Liebknecht-Haltung. Ein Leistungsmensch anerkennt einen Leistungsmenschen. Das beeindruckendste der Liebknecht-Biographie ist die Darstellung des Leistungswillens und der Leistungsfähigkeit Karl Liebknechts, die eine vorbildliche Leidensfähigkeit voraussetzte.
1871 geboren, promovierter Jurist, waren seine Chancen nicht schlecht, ein prominenter Anwalt zu werden, bevor er, nach der Elterngeneration – Bebel, Kautsky, Mehring -, zu einem der bekanntesten SPD-Politiker seiner Generation wurde. In den fast minutiös werdenden Schilderungen seiner letzten beiden Lebensjahrzehnte wird offensichtlich, wie der Jurist politisiert wurde und er zum politischen Advokaten der Arbeiterklasse. Der beharrliche Beharrer Liebknecht war nicht selten im Clinch mit seinen Genossen. Keiner hatte, wie Liebknecht, den Militarismus als Grundübel ausgemacht und sich ihm derart vehement widersetzt. Keiner hielt, wie Liebknecht, die Förderung der Jugend für eine politische Grundaufgabe. Der Politiker war ein Protagonist der proletarischen Jugendbewegung nicht nur Deutschlands. Das wird in dem Buch eher beispielhaft angedeutet denn ausgeführt. Karl Liebknecht, die zentrale Gestalt der Biographie, wird von der Autorin als Aktivist des Antimilitarismus herausgestellt. Diese „Rolle“ war seine Hauptrolle. Für sie brachte er den nötigen Fanatismus auf, ohne dafür immer das erforderliche Verständnis zu bekommen. Schon gar nicht in den Tagen des Ersten Weltkriegs, als deutschnationaler Patriotismus selbst klugen Köpfen den Verstand raubte. Der unversöhnliche Feind des „Internationalen Rüstungskartells“, der konsequente Kriegsgegner wurde als radikaler, eitler, egoistischer Vaterlandsverräter denunziert und verachtet. In seinem Eigensinn, Optimismus, Idealismus, seinem Sinn für das Spielerische kaum zu beeinflussen, schützte sich Liebknecht durch seinen Charakter. Der wappnete und motivierte den Politiker, keiner Auseinandersetzung auszuweichen. Auseinandersetzung bedeuteten wiederholte Inhaftierungen. Bedeuteten die Belastungen in der Familie. Die waren ausgelöst durch die Abkehr von der Mutter seiner drei Kinder und die Zuneigung zur geliebten Sophie. Wieder und wieder ist es eindrucksvoll zu lesen, was die vielen Briefzitate möglich machen, daß jeder Tod Liebknecht seelisch erschütterte. Der Starke, der vielen stur erschien, war ein höchst Empfindsamer. Die Empfindsamkeit hat Karl Liebknecht zu dem Entschiedenen gemacht, dem mancher nicht folgen konnte oder wollte. Seine endgültige Abkehr von der SPD war die konsequente Haltung, die der SPD nie genug Anlaß war, über Liebknecht nachzudenken. Die Zeitumstände prägten die außergewöhnliche Lebensgeschichte des Karl Liebknecht. Das Außergewöhnliche des Außergewöhnlichen verständlich zu vermitteln ist das Verdienst der Verfasserin. „Der Sozialismus wird herrschen lange nachdem man uns gemordet hat“, äußerte Karl Liebknecht kurz vor dem Tode in einem Interwiev. Fast neun Jahrzehnte sind seit der Ermordung des Mannes vergangen, „der eine Vergangenheit hat, über die er nicht erröten muß“, wie ein Zeitgenosse feststellte. Noch ein guter Grund, sich seines Lebens zu erinnern, das Annelies Laschitza aufschrieb, damit „Karl Liebknecht aus dem Schatten Rosa Luxemburg heraustritt“. Also: Alle Achtung!
Bernd Heimberger
10.03.2008