Biographie

Deutsch-israelische Brückenbauer

Der israelische Fußball führt im eigenen Lande seit jeher ein nachrangiges Dasein und kann sich beileibe nicht mit großen Meriten schmücken. Seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 gelang es der Fußball-Nationalmannschaft des Landes, das mit knapp 10 Millionen Einwohnern im Nahen Osten gelegen ist, lediglich ein einziges Mal, sich für eine WM-Endrunde zu qualifizieren. Dort allerdings ließ die Mannschaft um ihren Star Mordechai Spiegler aufhorchen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko langte es zwar nicht zum Weiterkommen in die K.O.-Runde, doch die beiden Unentschieden in der Vorrunde gegen Schweden sowie den späteren Finalisten Italien waren aller Ehren wert. Zwei Jahre zuvor schnupperten die Israelis bei den Olympischen Sommerspielen sogar an einer Medaille. Doch im Zeitalter vor der Einführung des Elfmeterschießens beendete ein Münzwurf im Viertelfinale gegen Bulgarien schließlich alle Träume. Ob der angespannten politischen Lage im Nahen Osten war Israel über viele Jahrzehnte von einem kontinentalen Verband zum nächsten herumgereicht worden, was noch am ehesten für Schlagzeilen zum israelischen Fußball sorgte.

Dementsprechend ist auch die Ruhmeshalle des israelischen Fußballs dünn frequentiert. Über allem thront allerdings unbestritten eine Persönlichkeit, die nach einer überschaubaren, weil verhinderten Spielerkarriere als Trainer den israelischen Fußball prägte wie kein Zweiter: Emanuel, genannt "Eddy", Schaffer war der Mann, der Ende der Sechziger Jahre für kurze Zeit Israel auf die Weltkarte des Fußballs führte. Die knapp verpasste Olympia-Medaille sowie die drei einzigen Endrundenspiele bei einer WM fielen unter seine Führung. Noch an seinem Grab wurde er 2012 als "der größte Trainer, den wir je hatten" auf die letzte Reise geschickt. Dabei waren seine jungen Jahre alles andere als dazu geeignet, ein langes und erfülltes Leben führen zu dürfen. Geboren im Jahre 1923 im damaligen Polen verbrachte Schaffer seine Kindheit in Recklinghausen, bevor nach der Machtergreifung durch die Nazis seine Familie mit ihm die Flucht ergreifen musste. Während seine Eltern und Geschwister den Holocaust nicht überlebten, gelang es Eddy Schaffer, dank einer abenteuerlichen Odyssee am Leben zu bleiben. Bis nach Kasachstan führte ihn sein Überlebenswille, bevor er nach Kriegsende zunächst zurück nach Polen und schließlich im Jahre 1950 nach Israel ging.

Der Fußball war ein steter Begleiter Schaffers, obgleich ihn der Zweite Weltkrieg um eine womöglich glorreiche Karriere als aktiver Spieler gebracht hatte. Schaffer besaß jedoch einen besonderen Blick für das Spiel, so dass in ihm unwiderstehlich der Wunsch nach einer Trainerkarriere entstanden war. Dafür wollte er bei den Besten lernen, und dies war Ende der Fünfziger Jahre der Deutsche Fußballbund und die Ausbildung durch Hennes Weisweiler in Köln. Dafür kehrte Schaffer in das Land zurück, das ihn vertrieben und seine gesamte Familie auf dem Gewissen hatte. Mit Weisweiler knüpfte er eine lebenslange Freundschaft, die Anfang der Siebziger Jahre dafür sorgte, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel eine Beschleunigung erfuhren, wie es nur der Sport vermag. Freundschaftsspiele zwischen Weisweilers Borussia Mönchengladbach und Schaffers Nationalmannschaft waren teilweise unter extremen Bedingungen ermöglicht worden und sorgten in Israel gut zwanzig Jahre nach Kriegsende für einen begeisterten und wohlwollenden Blick auf Deutschland.

Die Karriere und das Wirken Eddy Schaffers ist bisher in der sporthistorischen Betrachtung unverständlicherweise viel zu kurz gekommen. Gut ein halbes Jahrhundert nach dem ersten völkerverständigenden Spiel der Gladbacher "Fohlen" in Tel Aviv ist nun im Göttinger Werkstatt Verlag ein Buch erschienen, das sich ausführlich mit der Lichtgestalt des israelischen Fußballs beschäftigt. Mit Lorenz Peiffer und Moshe Zimmermann haben sich zwei ausgewiesene Experten diesem Thema gewidmet. In "Emanuel Schaffer" tragen sie parallel zur Lebensgeschichte Schaffers die Besonderheiten in der Beziehung Israels zum Sport und zu ihren Bewohnern, die aus der Diaspora ins Land gekommen sind, zusammen. Auch sorgen sie dank ihrer präzisen Quellenarbeit dafür, dass Schaffer nicht nur uneingeschränkt auf den Thron gehoben wird, sondern thematisieren auch seinen mitunter impulsiven Charakter, mit dem er oft bei Spielern, Verbänden und anderweitigen Machtmenschen aneckte, was schließlich zur Folge hatte, dass seine Ägide auf der israelischen Bank nur zu einer kurzen Erfolgsgeschichte wurde.

Ein weiterer Schwerpunkt im vorliegenden Buch ist die Beziehung Schaffers zu Hennes Weisweiler. Beide wurden ob ihrer Freundschaft zu Brückenbauern zwischen Deutschland und Israel. Auch den frühen Tod Weisweilers anno 1983 überdauerte die Familienbande zwischen den Schaffers und den Weisweilers. Ebenso markierten die Freundschaftsspiele der Gladbacher Anfang der Siebziger den Beginn einer bis heute andauernden Beziehung zwischen der Borussia und dem israelischen Fußballverband. Selbst ausgewiesene Fußball-Experten werden mit diesem Buch einige blinde Flecken in ihrer Wissenswelt tilgen können. Peiffer und Zimmermann ist mit "Emanuel Schaffer" ein ganz wichtiges Buch gelungen, das trotz seiner überschaubaren Seitenzahl mit ganz viel Wissenswertem und Überraschendem für die Nachwelt daherkommt. Das Portfolio des Werkstatt Verlags ergänzt es um ein weiteres eindrucksvolles Buch und untermauert die Erkenntnis, dass Fußball weit mehr als ein Spiel ist.

Christoph Mahnel 
10.05.2021

 
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Das Buch:

Lorenz Peiffer, Moshe Zimmermann: Emanuel Schaffer. Zwischen Fußball und Geschichtspolitik - eine jüdische Trainerkarriere

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2021 200 S., € 22,00 ISBN: 978-3-7307-0544-5

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